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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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waren. Doch in dem Moment bemerkte ich es kaum, zu sehr ärgerte mich mein eilfertiges »Ich will gar nicht stören!«. Ich konnte mir denken, was Michaela beim Anblick ihres barfüßigen Mannes empfand, der wie ein Gespenst durchs Zimmer gehuscht war.
    Ich packte die halbe Ladung nasser Wäsche in die Schleuder, drückte den Deckel zu und warf mich auf den Apparat, um die Tülle über dem Eimer zu halten.
    Ich nahm die Wäsche von der Leine und legte sie möglichst ordentlich zusammen. Jedes Hemd, jeder Slip, jeder BH war mir vertraut. Ich hatte das Gefühl, mich von jedem Stück einzeln zu verabschieden. Dann hängte ich meine Sachen auf.
    Kaum hatte ich die Tür zum Wohnzimmer geöffnet, erhoben sich zwei bärtige Männer.
    »Herr Türmer«, sagte der eine, der lange Beine und einen kurzen krummen Oberkörper hatte, »wir wußten ja gar …«, und der andere, in dem ich den Zuckerbart-Propheten mit den großen Brillenaugen erkannte, variierte: »Wir wußten wirklich nicht … Warum arbeiten Sie nicht bei uns mit?« Stille. Der dritteMann, Jörg, dessen Baskenmütze auf dem Tisch lag, lehnte sich zurück und nickte mir wie ein Prüfer aufmunternd zu. Die ihm gegenübersitzende zierliche Frau mit Pagenschnitt sah mich an, als wäre sie in mich verliebt. Nur Michaela las in dem vor ihr liegenden Text.
    »Dafür gibt es eigentlich keinen Grund«, sagte ich, nur um etwas zu sagen.
    Worauf wartete ich? Warum verschwand ich nicht endlich in meinem Zimmer?
    Rudolph, der Prophet, machte einen Schritt auf mich zu, streckte beide Hände nach meiner Rechten aus und ergriff sie. Er schätze sich glücklich, so unverhofft Gelegenheit zu erhalten, mir zu danken. Das wolle er schon, seit er mich das erste Mal in der Kirche gehört habe. 369 Er habe seiner Frau immer gesagt, sie solle nie vergessen, was der Herr Türmer für uns getan habe. Um Monate sei ich dem Geschehen voraus gewesen, ich hätte tatsächlich »klartext« geredet, und wenn es hier in der Stadt jemanden gebe, dem er vertraue, dann mir.
    Obwohl er meine Hand festhielt, streifte mich sein Blick nur gelegentlich.
    Ich solle für sie schreiben. Mit meinem Namen im Impressum müsse er sich keine Sorgen mehr um die Zeitung machen, mein Name wäre der »Garant für den Erfolg«.
    »Nun hol dir endlich einen Stuhl und setz dich her!« unterbrach Michaela meinen Laudator.
    Es war wie auf einer Umbesetzungsprobe – alle wissen Bescheid, nur der eine nicht, um den sich alles dreht. Doch bald sprachen sie von nichts anderem mehr als von Kostenvoranschlägen,Druckereien, Transportmöglichkeiten, Auflagen, Seitenzahlen, Ressortaufteilungen, und das nahm mir eigenartigerweise die Angst, das war etwas, wozu ich nichts sagen konnte, doch das Zuhören quälte mich nicht, es war so interessant und so langweilig, als erklärten sie mir ein Gesellschaftsspiel.
    Michaela war als einzige gegen die Pläne der anderen. »Aber so funktioniert es nicht!« rief sie immer wieder.
    Ich fragte schließlich, warum sie das alles erörterten und nicht weitermachten wie bisher?
    »Genau«, rief Michaela und warf ihren Stift hin, »das frag ich mich auch! Genau das frage ich mich!«
    Jörg lachte auf. Und dann hörte ich es zum ersten Mal: »Altenburger Wochenblatt«. Jörg ließ niemanden mehr zu Wort kommen. Setzte jemand zum Sprechen an, hob er seine Radiomoderatorenstimme und nahm den Einwand oder die Ergänzung vorweg.
    »Aber es funktioniert nicht«, rief Michaela abermals, worauf er auflachte und sagte: »Aber wir machen es trotzdem!«
    Danach schwiegen sie und sahen vor sich hin. Plötzlich drehte die Frau mit dem Pagenschnitt wie ein Vogel den Kopf zu mir und fragte: »Und Sie, wollen Sie nicht mitmachen? Es wäre eine Ehre für uns!«
    Unsere Aufgabe sei es, fuhr sie fort, die Öffentlichkeit zu erobern, ja Öffentlichkeit überhaupt erst herzustellen, um den demokratischen Übergang zu unterstützen, zu lenken und zu überwachen, ja, auch ein wenig Kontrolle und Selbstkontrolle sei nötig. »Unabhängigkeit ist das Wichtigste! Das lassen wir uns vom Neuen Forum schriftlich geben.« Daß sich ein solcher Versuch in einer Kreisstadt anders ausnehme als in Berlin oder Leipzig, darüber müßten wir ja nicht reden. »Das Rad der Geschichte«, unterbrach sie Rudolph, der Prophet, »darf sich nicht wieder zurückdrehen.« Dann sagte Georg: »Wir, also das NeueForum, das die Finanzierung übernehmen wird, planen eine Zeitung, die ab Februar wöchentlich erscheinen soll. In sieben Wochen werden

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