Neue Leben: Roman (German Edition)
wir das erste Exemplar in Händen halten!«
Das gefiel mir.
»Und was denkst du?« fragte ich Michaela. Sie hatte die Zigarette ausgedrückt und bewegte die Wangen, als spülte sie mit Mundwasser.
Aus einem Gefühl der Verantwortung habe sie beim Neuen Forum mitgemacht, aus Verantwortung habe sie mitgeholfen, den »klartext« zu gründen, aus Verantwortung habe sie die Position einer Herausgeberin übernommen. Zeitung, Journalismus, politische Aktivitäten – das sei etwas für Krisenzeiten, und nur in Krisenzeiten habe sie dafür Interesse. Das Eigentliche geschehe nun mal in der Literatur, der Kunst, auf dem Theater! Wo, wenn nicht im Theater kämen die Probleme einer Gesellschaft gebündelt und gestaltet zur Verhandlung? Sie gebrauchte dann Formulierungen wie »die Niederungen der Lokalpolitik« und »tägliches Klein-Klein«.
Anfangs hörten ihr alle zu, aber je länger sie über Kunst, Bühne und das »eigentliche Leben« schwadronierte, desto unruhiger wurde es. Nur die Pagenkopf-Frau war noch ganz bei der Sache. Michaela beschloß ihren Sermon mit dem Satz: »Allein in der Kunst widerfährt unserem Leben Gerechtigkeit, allein dort gibt es eine angemessene Sprache dafür!«
Danach versammelten sich wieder alle Blicke auf mir. »Das wäre ein großes Opfer«, sagte die Frau mit dem Pagenkopf, »wirklich ein Opfer, das Sie da bringen würden.«
»Marion«, sagte Jörg etwas ungehalten, »wir springen doch alle!« 370
»Das ist absurd!« rief Michaela. Ich solle mir darüber klarwerden, daß ich dann im Theater kündigen müsse, daß das keine Tätigkeit sei, die man nebenbei mache.
Ich versprach, es mir zu überlegen.
Michaela fuhr auf. »Das ist nicht dein Ernst?!«
Ich wiederholte, daß ich es mir überlegen wolle.
Michaela verschwand in ihrem Zimmer.
Für Robert erwies sich diese Wendung als Glücksfall. Er klagte nicht einmal über den Zigarettenrauch, denn pünktlich zum Beginn der Serie hatten alle das Wohnzimmer verlassen. Ich verabschiedete Michaelas Mediengruppe an der Tür.
Als Robert schon im Bett lag, stieß Michaela mit dem Ellbogen meine Tür auf, drehte sich herum, die Schublade ihres Schreibtischs wie einen Bauchladen vor sich. »Da kannst du schon mal üben«, sagte sie, kippte mir den Inhalt ins Zimmer und war wieder draußen.
Vor mir lag ein Haufen beschriebenen Papiers, »klartext«-Unterlagen, wie sich schnell herausstellte, aber auch Haarspangen, Heftpflaster und ein Nagelklipp waren darunter.
Ich machte mich sofort ans Sortieren: Druckkosten, die Einnahmen der Verkäufer, die Einnahmen durch den Postzeitungsvertrieb, die Abrechnungen und Außenstände, die verwendeten Texte, die ungedruckten Manuskripte und der Schriftwechsel.
Im Stehen betrachtete ich schließlich meine kleine Weltordnung – und dann: Ich nahm meine Manuskriptmappen aus dem Schrank, leerte die erste, radierte die Überschrift »Kasernenherz/letzte Fassung« weg und schrieb statt dessen »Druckkosten« darauf. Auf die hellblaue Mappe, auf der »Titus Holm« gestanden hatte, schrieb ich jetzt »Abrechnung Verkäufer«. Und so immer weiter, bis nur noch eine Mappe ohne Beschriftung übrig war. Ihr entnahm ich meine letzten Prosaversuche und legte sie zu den anderen auf den Schreibtisch. Sie krönten nun den Stapelmeiner gesammelten Werke. Auf die Mappe schrieb ich: »Verworfene Manuskripte« und erkannte im selben Moment, wie treffend dieser Titel auch zuvor schon gewesen wäre. Hätten wir einen Ofen gehabt, an diesem Abend wären meine »Gesammelten Werke« den Flammen übergeben worden.
Da ich sie aber mit der Schrift nach unten gelegt hatte, sahen sie aus wie ein Stapel weißes Papier. Die Blätter waren auf
einer
Seite noch zu etwas nütze, eine Tatsache, die mich in ihrer Gleichnishaftigkeit erschreckte und zugleich beglückte. Die
andere
Hälfte sollte nicht vergeudet werden! 371
Liebe Nicoletta, noch bin ich nicht am Schluß, aber für heute soll es genug sein.
Es grüßt, so herzlich wie entmutigt,
Ihr Enrico Türmer
Dienstag, 10. 7. 1990
Lieber Jo!
Die Schiedsrichterklause war unser Stadion. Wir haben bis in den Morgen gefeiert. Mutter und der Erbprinz hielten immerhin bis Mitternacht durch. Auch sie wollten keinen Augenblick von diesem Sonntag verschenken. Alle waren da, nur der Baron fehlte. Der saß mit Jörg zusammen. Über das Ergebnis weiß ichnichts. Ich will es auch gar nicht wissen. Mir war es schon unangenehm, daß gestern Fred und Ilona bei uns vorsprachen. Wir
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