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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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Wunder zu retten. Er lachte und massierte sein linkes Knie. Schon der Name, »Alten«, und dann noch »Burg«. Alt klinge nicht gerade einladend, eine Stadt mit diesem Präfix habe es a priori schwer. Und Burg – er lachte lauter –, mit Burg assoziiere man ja das Schlimmste, Kälte, Enge, Verlies. Er müsse nur Alten-Burg sagen, und schon würden die ausländischen Partner die Hände heben und an einen aufgegebenen Kolonialposten Karls des Großen denken. Da habe er noch nicht mal die weitab und hinter sieben Hügeln gelegene Autobahn erwähnt. Ein Blick auf die Karte der Zugstrecken verrate ihm, daß hier bald nur noch Bummelzüge verkehren würden. Außerdem könne ich fragen, wen ich wolle, die hiesigen Monsterbetriebe seien bereits jetzt am Ende, und die D-Mark, wann immer sie komme, werde sie vollends zur Strecke bringen. Mit DM -Löhnen ließen sich keine Staubsauger mehr zu Dumpingpreisen verkaufen, und was Industrienähmaschinen angehe, da sei der Zug längst abgefahren. Und NVA -Fahrzeuge, generalüberholte LKW s, etwa für die Bundeswehr?
    Dann traten wir hinaus auf den Umgang. Ich brauchte lange, bis ich Georgs Garten und unseren Ausguck fand, dafür entdeckte ich gleich am nördlichen Horizont das Völkerschlachtdenkmal.
    Die Braunkohle, fuhr der Baron fort, das wisse ich besser als er, habe, wenn seine Informationen stimmten, einen Wasseranteil, der eine Verarbeitung zu Löschsand rentabler mache. DieDreckschleuder 113 von Rositz werde spätestens der Umweltschutz schließen, sobald die Krebsrate bekannt wird. Und was das Uran betreffe, wir sahen gen Westen in Richtung der Pyramiden, darüber lasse sich nur spekulieren.
    »Was also bleibt? Altenburger Likör? Altenburger Senf und Essig? Ein paar Skatkarten? Die Brauerei vielleicht?« Und plötzlich, sich zu mir umwendend: »Das frage ich Sie!«
    Woher ich das denn wissen solle, antwortete ich. Er ließ nicht locker. Ich müsse mir doch Gedanken darüber gemacht haben, schließlich hänge eins am anderen, und wenn die Leute kein Geld in die Hand bekämen, nütze das schönste Angebot nichts. Von jemandem, der eine Zeitung gründe, also kein unbeträchtliches Risiko eingehe, dürfe man doch eine gewisse Prognose erwarten.
    »Damit hat die Zeitung nichts zu tun«, erwiderte ich. Ich meinte aber, solche Überlegungen hätten bei der Gründung keine Rolle gespielt. Barrista machte mir angst. Ich dachte an die Prophezeiung meines Großvaters. Ich würde noch erfahren, wie hart es sei, sich sein täglich Brot zu verdienen.
    Reden Sie weiter, hätte ich am liebsten gesagt, wie einer, der hören möchte, wie der Erzähler entgegen aller Wahrscheinlichkeit den Gefahren entkommen ist.
    »Es bleibt tatsächlich nicht viel«, sagte Barrista schließlich, »außer diesen Türmen, Häusern, Kirchen und den Museen. Das Theater, bei allem Respekt« – er verneigte sich –, »werden Sie wohl nicht in Betracht ziehen, zwei Jahre, drei vielleicht, dann ist es aus mit der Herrlichkeit.« Und nach einer Pause: »Die Sicht ist wunderbar, nicht wahr?« Danach versank er in Schweigen und spazierte herum. Wir sahen im Süden das Vogtland und den Kamm des Erzgebirges, und im Westen vermutete ich hinter dem Schloßberg die sanften Hügel von Geithain und Rochlitz.
    »Aber es muß doch weitergehen«, rief ich. Er drehte sich um, und nachdem er mich eine Weile aus seinen Tiefseeaugen bestaunt hatte, zog er die rechte Braue in Stummfilmmanier hoch. »Na, sagen Sie’s …!« rief er.
    »Wieso ich?« entfuhr es mir.
    »Und wieso ich?« echote er und lachte. Ja, er lachte mich aus. Man müsse sich halt Gedanken machen. Ein guter Feldherr, der nur halb so viele Soldaten wie sein Gegner habe, müsse sich eben was einfallen lassen – oder sein Heil in der Flucht suchen. Ich hätte doch in Jena studiert und sicher nicht vergessen, wie es dort zugegangen sei Anno Domini 1806. 114 Von allein komme kein Weltgeist in die Stadt geritten.
    Mich durchfuhr ein Schauer, als habe mir jemand Eis in den Hemdkragen gesteckt. Der Baron hatte den Jackettkragen hochgeschlagen. »Wenn das der Erbprinz sehen könnte«, sagte er. »Für diese Aussicht, was gäbe er da wohl nicht alles.«
    Der Baron lachte und begann gleich darauf, sich wie besessen die Hände zu reiben. »Wir müssen hier etwas finden, eine Silberader, Edelsteine, irgend etwas liegt immer vergraben. Wir müssen es nur finden!« Er lachte übermütig und präsentierte mir seine roten Handflächen, als wäre daraus gerade etwas

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