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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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aufgeflogen. »Schlagen Sie ein«, sagte er, und ich drückte ihm die Hand, ohne zu wissen, welchen Pakt ich da einging. Und weil er so bedeutungsvoll dreinblickte und seine Hand warm war, ergriff auch meine Linke seine Hand, woraufhin er, sichtlich bewegt, seine freie Hand obenauf legte.
    Unten empfing uns Proharsky. Schweigend nahm er den Schlüssel in Empfang und ging davon.
    Wir liefen quer durch die Stadt in Richtung Redaktion. Allmählich verstand ich, was er gemeint, das heißt, welchen Entschluß er gefaßt hatte: Von der Nansenstraße kommend, den Markt in ganzer Länge vor uns, prophezeite er fröhlich, daß ich in nächster Zeit sehen werde, wie alles, was er anfaßte, zu Gold würde. Er selbst habe aufgehört, sich darüber zu wundern. Als erstes brauche er jetzt ein Büro, ein geräumiges Büro mit Telephon und allem, was dazugehöre. Er wäre mir dankbar, wenn ich ihm in den nächsten Tagen bei der Auswahl helfen könnte.
    Jetzt lachte ich. Stellte er sich doof, oder hatte er wirklich keine Ahnung? Heute, da jeder händeringend um ein paar Quadratmeter trockenen Gewerberaums bettelt, will er Auswahl?!
    Er werde jetzt im »Wochenblatt« die Eröffnung seines Immobilienbüros bekanntgeben. »Wegen Bauarbeiten in der nächsten Woche nur schriftlich zu erreichen.« Bis die Anzeige erscheine, habe er sicher die Gewerbegenehmigung. Ich solle ihm einen Namen vorschlagen. »LeBaron«, sagte ich, ohne zu überlegen. Nicht schlecht, befand er und fragte, ob Fürst der Nachname meiner Lebensgefährtin sei, er habe das an unserem Türschild gelesen. Ich nickte. »Na also!« rief er und schien vor Freude seine Beine nach vorn zu werfen. Das sei doch was, besser im Plural, also Fürst & Fürst, was wohl wenig Probleme bereite, wie er meinte, da es diesen Namen in Altenburg sicher nur einmal gebe. Er werde, wenn ich das erlaube, meine Lebensgefährtin um Zustimmung bitten, ein Handel, der sich für Michaela, er sagte tatsächlich Michaela, in klingender Münze auszahlen werde.
    Am liebsten hätte ich ihn gleich zu Roberts Geburtstag eingeladen, schon wegen des Wolfs, der nachmittags von Georgs Kindern ausgeführt wird. Aber es hat schon genug Streit gegeben, weil morgen die Großmütter anrücken, Robert aber nicht davon abzubringen ist, auf dem Markt Zeitungen zu verkaufen. Michaelas Mutter hat darauf bestanden, wenigstens das Lenkradvon Jimmy zu behalten. Das werde ich ihr also morgen überreichen, sozusagen die Urne des seligen Gefährts. Den LeBaron darf ich vorerst behalten.
    Barrista solltest Du einmal kennenlernen, und sei es nur, um seinen Wein zu probieren und Dir einen literarischen Helden der Gegenwart anzusehen.
    Sei umarmt, E.
    PS : Georg brütet immer noch, atmet aber ruhig und regelmäßig.

 
     
    Sonnabend, 24. 3. 90
     
    Liebe Nicoletta!
    Es gibt Stunden, in denen ich Ihr Schweigen als Aufforderung deute, an meinen Gefühlen nicht irre zu werden und Ihnen zu vertrauen. Wieder und wieder suche ich unsere gemeinsamen Stunden nach Hinweisen ab, was ich falsch gemacht haben könnte. Wüßte ich wenigstens das! Besteht die Aufgabe darin, meine Verfehlung herauszufinden? Oder hat man Sie nach Hongkong geschickt? Sollte denn Barrista wirklich der Grund sein für Ihr Schweigen?! Ein Wort von Ihnen, die Entscheidung fiele mir leicht. Oder ist schon die Suche nach Gründen eine Anmaßung?
    Wäre es nicht so absurd, würde ich Sie fragen, ob Sie meine Briefe lesen. Zurückgekommen ist noch keiner! Das macht mir Mut fortzufahren.
     
    Mein zweiter Arkadiensommer gipfelte in unserem jährlichen Budapestbesuch. Statt uns wie sonst die Nacht im Zug um dieOhren zu schlagen, flogen wir, das Nonplusultra an Luxus. Die Abwesenheit von Vera, die in einem Ferienlager an der Ostsee arbeitete, tat ein übriges.
    Unsere Wirtin, Frau Nádori 115 , die wir wie immer mit Bettwäsche bezahlten 116 , bat uns zur Begrüßung in die Küche, kochte Kaffee und zog sich eine »Duett« aus Mutters Schachtel. Sie inhalierte tief und blies mir den Rauch ins Gesicht. (Sie war eine Freundin der Mutter von Tibor Déry gewesen und hatte Dérys Frau in der schweren Zeit nach 56 unterstützt. Der Name sagte mir damals nichts.)
    Wie immer am ersten Tag gingen wir hinauf zur Burg. Diesmal jedoch war ich kein Kind mehr – ich trug Stift und Notizblock bei mir. 117
    Und dann erblickte ich ihn, den Turm! Er beherrschte die Straße wie eine dieser alles sehenden, alles vermögenden Konstruktionen bei Jules Verne. Von diesem Turm aus konnte uns

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