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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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Und wenn ich jederzeit sage, dann meine ich das auch, jederzeit, das ist Ihr gutes Recht, und Sie können mit mir über alles reden, es müssen keine religiösen Dinge sein, ich weiß, wie es ist, wenn man hierherkommt, ich weiß, wie bedrückend das viele von Ihnen empfinden mögen, wie man Sie hier oft behandelt, ich weiß, was für kleine und erbarmungswürdige Wichte Ihre Vorgesetzten manchmal sind … « — das ließ nun doch alle ein bißchen aufhorchen, solche Worte hatten die Rekruten hier noch nicht gehört, der Standortpfarrer eroberte ihre Herzen im Sturm, das Gescharre und Gerücke und Geschubbere hörte nach und nach auf und alle spitzten die Ohren, er kriegt sie alle, er ist ein verdammter Schleimer, dachte Frank mißmutig, »… und wie ausgeliefert und einsam man sich fühlen kann, wenn man von heute auf morgen in eine Welt gestoßen wird, in der man zunächst einmal natürlich das Gefühl haben muß, nichts wert zu sein, nichts zu gelten …«, der Pfarrer redete sich warm, und sein Publikum war immer mehr in Bann geschlagen, es gab viel Grinsen und zustimmendes Kopfnicken unter den Rekruten, woraufhin er gleich noch eine Schippe drauflegte, wie Frank, der dem Mann immer weniger traute, dachte, du eitler Affe, dachte er, auch du gehörst dazu, und dann merkte er auch noch, daß ihn der Pfarrer von der Stimme her an Ralf Müller erinnerte, das machte die Sache nicht besser, er hatte denselben weinerlichen Unterton, wenn er redete, und er redete gerne, soviel war mal klar, »… auch ich war mal in Ihrer Lage«, fuhr er fort, »auch ich war einmal Wehrpflichtiger, und deshalb habe ich damals, als die Stelle frei wurde, auch gerne die Möglichkeit ergriffen, hier der Standortpfarrer zu werden, denn es sind schon viele in Ihrer Situation verzweifelt und haben nicht mehr aus noch ein gewußt, immerhin hat man Sie völlig aus Ihrem normalen Leben herausgeholt, Sie wurden sozusagen aus der Mitte Ihrer Familien, Ihrer Freunde gerissen, viele wurden von ihrer Freundin getrennt …« — jetzt bemerkte Frank, wie er doch ein wenig weich wurde, der Mann ist gut, dachte er, da kann er noch so sehr wie Ralf Müller klingen, Ralf Müller ist ein Waisenknabe dagegen. Seine Kameraden waren jetzt ganz still, manche nickten immer noch vor sich hin, andere schluckten schon schwer, und Schmidt, der auf der anderen Seite neben Frank saß, klimperte verdächtig mit den Augenlidern, nur Leppert drehte weiter Zigaretten, eine um die andere, und Frank dachte, wenn das hier so weitergeht, dann gibt es gleich eine Heulerei wie bei Tante Erika damals, als beim Sissi-Film Sissi ihre Tochter zum ersten Mal in Venedig wiedersah und die Italiener alle »la mamma« riefen, aber dann kriegte der Pfarrer gerade noch die Kurve und wechselte das Thema, ließ sich kurz über das Problem der verschiedenen Konfessionen aus, »gerade hier sind ja auch viele katholische Kameraden aus dem Rheinland, ist es nicht so?«, sprach über die Rüstzeit, »Rüstzeit, was soll das heißen?«, klärte sie über ihre diesbezüglichen Rechte auf, »nehmen Sie Ihre Rüstzeit, es ist Ihr gutes Recht«, und schärfte ihnen noch einmal eindringlich ein, sofort zu ihm zu kommen, sollten sie jemals seelische Nöte verspüren, »ich weiß, wie das ist!«. Dann segnete er sie alle, jedenfalls sagte er das, »Ich möchte Sie alle segnen«, und Frank, der eher gottlos aufgewachsen war, fragte sich dann doch, ob das jetzt ein astreiner, kirchlich genormter Segen war oder nur eher eine beiläufige Redensart, muß er nicht die Finger dazu heben oder so etwas, fragte er sich und spielte schon mit dem Gedanken, da einmal nachzuhaken, aber da war der Standortpfarrer, statt einfach aufzuhören, wie Frank es langsam für angebracht gehalten hätte, schon wieder bei den seelischen Nöten, »jederzeit!« rief er aufmunternd, »jederzeit können Sie zu mir kommen, es ist Ihr gutes Recht, sagen Sie einfach, Sie wollen zum Standortpfarrer, und dann kommen Sie zu mir, jederzeit.«
    Frank reichte es jetzt. Er hob den Arm.
    »Eine Frage!« rief er. Alle seine Kameraden drehten sich nach ihm um und sahen ihn neugierig an.
    »Ja, bitte«, sagte der Standortpfarrer erfreut.
    »Geht das wirklich immer? Ich meine, kann ich einfach mitten im Gelände, was weiß ich, beim Tarnen oder so, oder in der niedrigsten Gangart oder so, kann ich da einfach sagen, ich muß mal eben zum Standortpfarrer, und dann lassen die mich gehen?«
    Jetzt drehten sich alle Köpfe zurück zum

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