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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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die letzten Stunden in Freiheit nutzen. In seinem Zimmer gab es nichts Richtiges zu tun, er hatte ja kein Material, keine Tapeten, keine Farbe, kein Holz, also versuchte er, weiter in Martin Klapps Buch über die Geschichte der römischen Republik zu lesen, aber er konnte sich nicht gut darauf konzentrieren, zumal dort so viel von Legionen und Feldzügen die Rede war, daß seine Gedanken immer wieder zurück zur Bundeswehr wanderten. Dann half er Martin Klapp eine Zeitlang dabei, seine Bücherregale aufzustellen und einzuräumen, aber das brachte auch nicht viel, und schließlich war er so verzweifelt, daß er Martin Klapp zum Essen in das nahe gelegene jugoslawische Restaurant Dubrovnik einlud. Martin Klapp nahm das Angebot natürlich an, er hatte noch nie etwas ausgeschlagen, das umsonst war, und so schaufelten sie große Mengen Cevapcici und Raznjici in sich hinein, während Martin Klapp davon erzählte, daß er Sibille »eigentlich ziemlich interessant« fand, was Frank auch nicht mehr groß überraschte. Schließlich fragte Martin Klapp Frank sogar noch, was er denn so von Sibille hielte, und Frank sagte irgend etwas, von dem er glaubte, daß Martin Klapp es hören wollte, etwas Lobendes und zugleich nicht allzu Enthusiastisches, und dann war es acht, und er konnte es nicht mehr aushalten, deshalb bezahlte er, stieß mit Martin
    Klapp mit dem Slivovitz, den sie umsonst dazubekamen, auf Sibille an, verabschiedete sich, setzte sich ins Auto und fuhr los.
    Es ist zu früh, es ist zu früh, dachte er, als er durch die Straßen Bremens kurvte, aber es war auf jeden Fall gut, allein und in Bewegung zu sein. Er machte den Kassettenrecorder an, in dem eine Kassette steckte, die sein Bruder ihm zusammen mit dem Auto überlassen hatte, es war irgend etwas von Bob Dylan. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte sein Bruder immer Bob Dylan gehört, das war lange her, sein Bruder war vielleicht sechzehn gewesen und Frank etwa zwölf, und sein Bruder hatte immer irgendwelche Kassetten mit Bob Dylan gespielt, und Frank hatte sich das, weil er im selben Zimmer gewohnt hatte, immer mit anhören müssen, und deshalb kam es ihm durch die Musik jetzt vor, als sei sein Bruder mit ihm im Auto, und das tat ihm gut, während er durch die Straßen von Bremen fuhr und dabei, ohne es besonders zu wollen, langsam die richtige Richtung einschlug, in die Neue Vahr Süd kam, dort an den Stätten seiner Kindheit vorbeifuhr, um dann durch Blockdiek und Osterholz schließlich zur Autobahn zu gelangen. Er fuhr auf die Autobahn hinauf und dann gleich die nächste Ausfahrt wieder hinunter, es ist zu früh, dachte er, es ist zu früh, das ist lächerlich, es ist noch keine neun Uhr, und so nahm er die Landstraße und fuhr auf baumbestandenen Alleen durch kleinere und größere Dörfer in Richtung Verden, während Bob Dylan irgendwelche Lieder über Pat Garret und Billy the Kid sang und Frank eine kleine Unterhaltung mit seinem nicht anwesenden Bruder führte, in der er ihm darzulegen versuchte, warum er eigentlich nicht verweigert hatte, aber er merkte bald, daß er seinen Bruder entweder belügen oder ein paar unangenehme Wahrheiten aussprechen mußte, also hörte er damit auf, machte die Musik aus und fuhr, während es langsam dunkel wurde, von der Bundesstraße ab in ob-skure kleine Ortschaften, hängte sich hinter einen Trecker und blieb dort unnötig lange, nur um das Tempo rauszunehmen, fand irgendwann den Weg auf die Bundesstraße nach Verden zurück, machte die Musik wieder an, kam nach Verden hinein, machte sich lustlos mit dem Ort ein wenig vertraut, und gelangte dann doch irgendwie, obwohl es immer noch keine zehn Uhr war, auf die Straße nach Dörverden, wie ein Satellit, dessen Fliehkräfte verbraucht waren und der langsam, aber letztlich unaufhaltsam der Erde entgegentaumelte, und je mehr er sich der Kaserne näherte, desto stärker wurde ihre Anziehungskraft, und als er direkt vor der Kaserne ankam, mußte er alle Willenskraft zusammennehmen, um nicht sogleich hineinzufahren, er schaffte es gerade noch, das Auto auf dem kleinen Wendeplatz davor zu parken und sich die ganze Sache noch einmal zu überlegen. Er saß hinter dem Steuer im Auto und betrachtete den Eingang der Kaserne, an dem nicht viel los war, und spielte mit dem Gedanken, noch einmal umzukehren und die Zeit bis kurz vor ein Uhr irgendwo in Dörverden totzuschlagen, falls das überhaupt ging. Was soll’s, ich muß da sowieso rein, dachte er, und alles ist besser, als hier

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