Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
herumzusitzen, redete er sich ein, aber er konnte sich trotzdem nicht aufraffen, etwas zu unternehmen, und so saß er untätig eine Weile herum, bis plötzlich jemand aus der Kaserne auf ihn zukam. Es war ein Soldat mit einer weißen Armbinde, auf der >Wache< stand. An seinem Koppel hing eine Pistole. Er kam zu Franks Auto, bückte sich und klopfte an die Scheibe.
»Was machen Sie hier?« fragte er.
»Nichts«, sagte Frank, »ich warte.«
»Worauf?«
Der Mann war nicht unfreundlich, aber er machte einen nervösen Eindruck. Und er hielt eine Hand an der Pistole.
»Darauf, daß ich mich entschließen kann, da reinzufahren.«
»Bist du Soldat?«
Frank nickte.
»Zeig mal deinen Dienstausweis.«
Frank suchte aus seinem Portemonnaie den Dienstausweis heraus und gab ihn ihm. Der andere studierte ihn im Schein der nächsten Straßenlaterne.
»Entweder fährst du hier weg oder rein«, sagte er und gab ihm den Ausweis zurück. »Hier draußen kannst du nicht stehenbleiben. Hier ist Halteverbot. Außerdem wird dann der OvWa nervös, der sieht überall Terroristen, der OvWa.«
»Okay«, sagte Frank.
Der Soldat ging wieder weg. Frank startete den Motor, machte das Licht an und fuhr zum Tor. Dort hielt er seinen Dienstausweis hoch, und sie winkten ihn durch. Als er auf dem Parkplatz aus dem Auto stieg und die Kompaniegebäude sah und die Munitionsbunker und die Bäume, unter denen sie immer entlangmarschiert waren zum Standortübungsplatz, und die große, asphaltierte Fläche, auf der sie bis zum Umfallen ihr Links um!, Rechts um! geübt hatten, wurde er von einer bleiernen Müdigkeit erfaßt. Er schaute auf seine Uhr, und es war erst Viertel nach zehn. Ich muß total bescheuert sein, dachte er und ging hinüber zum Gebäude der 4. Kompanie.
12. SEELISCHE NÖTE
»Ich bin der Standortpfarrer. Nun werden Sie sich wundern und fragen: Was soll denn das, ein Standortpfarrer?« Der Standortpfarrer machte auf Frank einen angenehmen Eindruck, er war in Zivil, hatte eine freundliche, leise Stimme und lächelte unaufhörlich, auch während er sprach. Aber Frank wollte jetzt keine angenehmen Eindrücke. Es war Montagvormittag, und der Morgen war grausam gewesen, es war, als hätten sich die Fahnenjunker bei ihnen für die zwei verlorenen Wochenendtage rächen wollen, und Frank hatte das Gefühl, besonders schlecht weggekommen zu sein: Beim Revierreinigen hatte ihre Stube ausgerechnet das Klo zugeteilt bekommen, und Fahnenjunker Tietz hatte Frank ein und dieselbe Schüssel dreimal nachschrubben lassen; bei der Stuben- und Spindkontrolle hatte Fahnenjunker Heitmann, nachdem er Frank alle seine Hemden neu auf DIN A4 hatte falten lassen, noch einmal mit dem Finger über den Spind gewischt, »Sehen Sie mich noch?« gesagt und dazu imaginären Staub in die Luft gepustet, und Frank hatte nach einem Lappen laufen und oben auf dem Spind damit herumwischen müssen; beim Antreten der Kompanie war er, seines Beines wegen, das besonders beim Laufen auf der Treppe ziemlich schmerzte, als letzter unten angekommen und war von Feldwebel Meyer zusammengebrüllt worden, daß es nur so eine Art gehabt hatte, beim Frühstück hatte ihn eine Gruppe älterer Soldaten aus der Reihe gedrängelt und beim Marsch zum Unterrichtsgebäude hatte Feldwebel Meyer ihn persönlich zu Klump zu hauen gedroht, weil er Neuhaus in die Hacken getreten hatte, obwohl der POA Neuhaus, der sich immer mehr zum Ärgernis entwickelte, mit seiner tänzelnden Stolperei selbst schuld daran gewesen war. Und jetzt saß Frank im Unterrichtssaal in der letzten Reihe und nahm sich vor, den Standortpfarrer, angenehme Erscheinung hin, angenehme Erscheinung her, nicht zu mögen, während neben ihm Leppert unaufhörlich Zigaretten auf Vorrat rollte. Auch die anderen etwa hundert Kameraden der 4. Kompanie waren nicht ganz bei der Sache, viele schienen mit den Stühlen, auf die man sie gesetzt hatte, schlecht zurechtzukommen, es wurden alle nur möglichen Sitzpositionen ausprobiert, Oberkörper pausenlos vor- und zurückgelehnt, Arme wurden verschränkt und wieder entschränkt, Nägel gekaut, Köpfe gekratzt, und es wurde mit den Füßen gescharrt, daß es eine helle Freude war.
Der Standortpfarrer merkte von alldem nichts, oder wenn, dann ließ er sich nichts anmerken. Er lächelte und redete und redete und lächelte. »Zunächst einmal möchte ich Ihnen dies sagen: Ich bin immer für Sie da. Sie können sich jederzeit bei Ihren Vorgesetzten abmelden und zu mir kommen und mit mir reden.
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