Neue Zeit und Welt
war, blieb er stehen und starrte die Kind-Königin an, wie sie ihn. Er sah verblüfft, dass sie zehn oder zwölf Jahre alt zu sein schien, obwohl er wusste, dass das nicht sein konnte, denn sie war seine Tochter, daran zweifelte er nicht. Sie war auch nicht vollkommen menschlich. Ihr Kopf hatte eine elliptische Form, aus ihren Schläfen ragten portweinfarbene Federn heraus. Augen und Nase zusammen glichen eher einer gespiegelten Schnabelmaske als etwas anderem, obwohl sie rote, volle Lippen hatte. Ihr nackter Körper war durchaus menschlich und feminin, obschon auffallend geschlechtslos. Ihre Hände besaßen Finger, die zugleich zart und krallenartig waren; ihre Füße glichen samtigen Klauen. Sie hatte einen flaumbedeckten Greifschwanz. Und an der Rückseite beider Arme verliefen kurze Federknospen, goldfarben und grün zumeist.
Josh spürte, wie sein Herz schneller schlug. Das war sein Kind.
Nachdem sie sich lange betrachtet hatten, sprach sie ihn an – obwohl er das Gefühl hatte, sie auch verstehen zu können, wenn sie nicht gesprochen hätte. Bestimmte Wörter hatten einen telepathischen Beiklang.
»Du bist mein Vater. Hab keine Angst. Ich werde dir nichts tun.«
»Wo ist deine Mutter?« fragte Josh. Er verspürte keine Angst.
»In meiner frühesten Kindheit habe ich sie getötet, was ich bedaure. Ich bin seither erwachsener geworden. Du hast nichts zu fürchten, Vater-Schöpfer.«
»Was hast du vor?« fragte Josh. Ihre Verwundbarkeit kam ihm deutlich zum Bewusstsein.
»Ich muss noch lernen. Ich habe Kräfte. Aber ich kann mich täglich verändern. Jeden Tag sehe ich die Äther-Mutter neu. Sie ist stets in der Wandlung, stets listig. Und mit jedem Tag werden meine Kräfte größer. Ich kann Dinge verändern. Und ich verändere mich. Du siehst – ich bin in Metamorphose.«
»Wie bewirkst du diese Dinge?«
»Ein mächtiger Geist erzeugt ein starkes Energiefeld. Wenn das Feld stark genug ist, kann es die Substanz der Raum-Zeit krümmen – wie einen großen Stern, ein Schwarzes Loch. Alle Gehirne tun das in kleinerem Maß, aber man nimmt es meistens nicht wahr, weil es die Kraft kleiner Massen oder die Wirkung kleiner Beschleunigungen ist. Doch so wie die Zeit bei Geschwindigkeiten nahe der des Lichts sich verlangsamt und die Materie sich zusammenzieht, so, wie der Raum, das Licht und die Zeit sich um die dichtesten Massen krümmen, so werden Raum-Zeit-Krümmungen verursacht durch das Energiefeld des Mega-Geistes. Verstehst du?«
»Nein«, sagte Joshua. »Ich sehe nur, dass du große Macht besitzt.«
»Merk dir auch folgendes: Du hast von mir nichts zu fürchten. Du und die deinen. Du bist mein Vater-Schöpfer, du hast mich hervorgebracht. Ich bin der Knoten in der Äther-Mutter, erzeugt durch das Zucken von dir und meiner Mutter-Schöpferin, die ich in Unwissenheit und Entropie getötet habe. Aber du bist sicher.«
»Und der Rest der Geschöpfe auf der Erde?« Er hatte das Gefühl, sie beim Wort nehmen zu dürfen – jedenfalls ihre Absichten. Was sie in Wahrheit tun mochte, entzog sich wohl, wie er spürte, sogar ihrer eigenen Kontrolle.
»Das kann ich nicht sagen. Meine Kräfte sind ungeübt, meine Erkenntnisse unvollkommen. Ich kann nicht sehen, was kommen wird.«
»Was wünschst du dir?« Er wagte Hoffnung. In ihrer Gegenwart fühlte er sich seltsam mächtig, obwohl er vermutete, dass sie sein Leben mit einem Lidschlag auslöschen konnte.
»Ich wünsche Harmonie. Aber den Maßstab kann ich nicht fassen. Sie wird jedoch kommen. Ich wünsche mir deine Hilfe.«
»Warum die meine?«
»Ich bin deine Manifestation. Du bist mein Erzeuger. Hilfe ist das Thetafeld dieser Beziehung. Liebe ist die elektrotreibende Kraft. Gleichgewicht ist die Wellenform. Wellenlänge ist die Leidenschaft. Verstehst du?«
»Nein.«
»Das macht nichts. Die Zeit ist unsere Gnade. Geh jetzt. Ich werde wieder rufen – du musst mir helfen. Ich kann meine Gedanken senden, empfange sie aber immer noch unscharf – in nahen Entfernungen von Raum oder Zeit, wenn Störungen durch andere Felder ausbleiben. Aber die einfachen Wellenlängen sind simpel – für Senden und Empfang: Kommen, Gehen, Hilfe, Liebe, Hass. Verstehst du?«
»Nein.«
»Das macht nichts. Ich bin dein Kind. Wirst du mir helfen?«
»Du bist mein Kind. Ich bin dein Zeuger.«
»Geh jetzt.«
Josh drehte sich um und ging. Isis lief neben ihm her.
Gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg durch die raucherfüllte Festung, die trostlose Innere Stadt, die von
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