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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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andererseits konnte er dem Vampir die Einsamkeit wenigstens zum Teil nachfühlen und zeigte seine Feindseligkeit nicht ganz so offen.
    Aba saß auf dem Boden, Feder und Papier in der Hand, mit dem Rücken an einem Baum, als Ollie heranschlenderte.
    »Was machst du, Vampir?« fragte er leise.
    Aba lächelte.
    »Ich schreibe ein Gedicht«, erwiderte er.
    Ollie streckte die Hand aus.
    Aba überlegte, dann gab er Ollie das Blatt Papier. Der junge Mann las laut vor:
     
    »Schwarzer Stein in schwarzer Nacht,
    ruf auf zum verbleichenden Sterngewimmel
    ›Gib Antwort!‹«
     
    »Man nennt diese Form ›Haiku‹«, sagte Aba erläuternd.
    Ollie sah ihn an und blickte wieder auf das Gedicht. Der Wind fegte durch die Bäume.
    »Ich fühle manchmal auch so«, sagte er leise.
    Abas Lächeln wirkte traurig.
    »Du darfst das Warten auf die Antwort nicht aufgeben.«
    Paula kam in diesem Augenblick argwöhnisch heran. Sie hasste Ollie, weil er Aba so schlecht behandelte.
    »Was geht hier vor?« fragte sie mit unterdrücktem Zorn.
    Ollie gab Aba das Gedicht zurück und richtete den Blick auf Paula.
    »Ah, das Vampirliebchen«, höhnte er.
    »Ich habe wenigstens nicht vergessen, was es heißt, ein Mensch zu sein«, erwiderte sie aufgebracht.
    »Nein, du beweist dir, wie menschlich du bist, dadurch, dass du dich von einem, der ein großes Maul hat, halb aussaugen lässt.«
    Sie schlug ihm ins Gesicht – so fest, dass ihm für Augenblicke der Atem wegblieb. Dann lächelte er mit zitternden Lippen und ging davon.
    Paula starrte Aba an.
    »Warum lässt du zu, dass er so mit uns redet? Wann machst du diesen gemeinen Beleidigungen ein Ende?« Sie war weiß vor Wut, in ihren Augen standen Tränen.
    Aba stand auf und umarmte sie.
    »Er kann nicht anders, Paula. Er ist voller Angst und Einsamkeit, wie wir alle.«
    Sie legte den Kopf an seine Brust.
    »Musst du so unmenschlich verständnisvoll sein?« sagte sie weinend.
    Er war ein wenig verblüfft, streichelte sie aber.
    »Ich verstehe gar nichts«, flüsterte er.
     
    Ellen verbrachte den Vormittag des Festes mit Messer und Wörterbuch in der Hand, ging von Baum zu Baum und schnitzte alte, selten gebrauchte Wörter voll großer Macht als Totems in die Rinden, um die Gemeinschaft zu schützen: Heide, Willenshemmung, Kleenex, Ottomane, Betr., Quincunx, Bogart, E = Mc2, Lanzelot, Om, Canaveral, Pi, ergo, DNA, Cinemascope, Syntax, Oxymoron, Eloi, geil, Muon, Vergaser, Pez, Dublone.
    Andere ritzten Wörter in das Laub, das der Wind forttrug – man sprach von Raku-Geschichten, und es hieß, dass der Himmel sie lese. Wein floss in Strömen, während die Angestöpselten exotische Geschichten von Ländern und Abenteuern erzählten, die sie in angeschlossenem Zustand in der Festung kennen gelernt hatten, von solchen, die einst in anderen Teilen der Welt gelebt hatten, Länder, wo Riesen lebten, wo Zauberei an der Tagesordnung war, wo Menschen als Könige herrschten und Tiere die Kraft der Rede verloren hatten, wo Riesenechsen das Kommando führten.
    Josh hörte sich alle diese Geschichten an, las alle Wörter und empfand tiefe Zuneigung zu dieser Gemeinschaft von Renegaten und Außenseitern, die seine Rückkehr aus einem feuchten Grab feierten.
    Er trat vor sie und sagte mit lauter Stimme: »Ihr seid alle meine Familie an diesem Tag!«
    Die Menge jubelte laut, und das Wort hallte wider als hundertfaches Echo: »Familie! Familie!«
    Familie. In Joshuas Innerem fand das Wort so oft Wiederholung, bis es jeden Sinn zu verlieren schien. Familie familie familie familie famil famil fami fami fam fam fam fam fam fam fa fa fa fa fa fa fa fa faaa faaaaaa faaaaaaaaater. Vaaaaater. Vaaater. Vaater. Vater. Vater.
    Vater.
    Das Wort hockte plötzlich in seinem Gehirn und wollte sich nicht verdrängen lassen. Vater. Er riss den Kopf nach rechts und blickte nach Norden. Vater. Vater, komm.
    »Was ist?« fragte Jasmine. »Du siehst so merkwürdig drein. Du bekommst doch nicht wieder einen Anfall, oder?«
    Vater, komm.
    Josh stand auf, presste die Hand an die Stirn, starrte Richtung Norden.
    Vater, komm.
    Josh begann nach Norden zu gehen. Nach zwei Schritten hielt Jasmine ihn auf.
    »Josh, was tust du? Was hat das zu bedeuten?«
    Plötzlich merkte das ganze Lager, dass etwas im Gange war. Der Jubel verebbte rasch.
    Josh wirkte verwirrt und verkrampft.
    »Sie ruft«, murmelte er.
    Jasmine und Beauty traten vor ihn hin.
    »Wer ruft?« fragte der goldene Zentaur. »Die Königin?«
    Josh schüttelte den Kopf.
    »Meine

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