Neue Zeit und Welt
zur Tür, und nach einer halben Minute war die Kind-Königin allein. Nur Isis saß neben ihr. Die kleine Katze leckte sich zweimal die Pfote und zweimal das Bein der Kind-Königin, rollte sich zusammen und schlief ein. Sie hatte keine Angst vor diesem bizarren neuen Tier, an dem ein Hauch von Joshua war. Sie empfand kaum Neugier. Sie wusste nur, dass sie den Geruch des neuen Wesens mochte und Zeit und Ort für ein Schläfchen richtig zu sein schienen.
Die Kind-Königin blickte auf die schlafende Katze und grollte im Inneren. Sie sprang vom Thron auf das Podest, lief wie ein Menschenaffe in eine dunkle Ecke – bei jedem zweiten Schritt berührten die Fingerknöchel den Boden –, setzte sich dort an die Wand, schaukelte hin und her, die Knie an der Brust, und brütete stumm vor sich hin.
Beauty lief im Galopp über die Hügelkuppe, Josh und Rose auf seinem Rücken. Es war ein schöner, frischer Aprilmorgen, wolkenlos und reingefegt, und zum ersten Mal seit Monaten dachten sie an nichts als an den Augenblick und den Wind an ihren Gesichtern.
Beauty hetzte durch das hohe Gras, sprang über Baumstämme, spritzte durch Tümpel und Schlammlöcher. Es war wunderbar, herrlich gefährlich, so offen in der Nähe der Stadt herumzutollen. Aber sie hatten zu lange jede Freiheit und Überschwänglichkeit entbehren müssen und holten nun lachend und jubelnd manches nach.
In einem Apfelgarten landeinwärts der Klippen über den Höhlen kamen sie zum Stillstand. Josh und Rose stiegen ab, und sie gingen zu dritt Hand in Hand stumm dahin, bis Beauty wieder kühl und trocken war. Josh entdeckte bei seinen alten Freunden eine gewisse Distanz, bei der sie aber gemeinsamen Frieden gefunden zu haben schienen.
Geraume Zeit gingen sie wortlos dahin, bis sie endlich den großen Eichenhain erreichten, wo das Fest stattfinden sollte.
Das Fest war für das ganze Lager gedacht, und alle waren anwesend – Bücher, Angestöpselte, Jasmine, Ollie, Aba, Rose, Beauty –, denn heute war ein Tag von Reden, Spielen, Trinksprüchen, Schwüren, Versprechungen und Plänen; Joshua war hier und würde sie leiten und ihnen sagen, was sie tun mussten. Im Innersten wagten sie zu flüstern: kein Leben mehr in den Höhlen.
Nur Paula und Aba hielten sich ein wenig abseits von den Festlichkeiten. Ihre Liebe zueinander war im Lauf der Wochen größer geworden, die blauen und grünen Spuren von Abas Leidenschaft erstreckten sich über Paulas ganzen Hals. Dass sie ineinander vertieft waren, schützte sie ein wenig – wenn auch nicht ganz – vor der Betroffenheit, den kalten Blicken und dem unverhüllten Ekel vieler der anderen Buchleute. Man betrachtete es als ärgste Entwürdigung eines Schreibers, ja jedes Menschen, sich einem Vampir hinzugeben. Aber für Paula war das keine Entwürdigung, sondern Liebe. Und für Aba war Paula nicht ein bloßes Objekt seiner Blutbegierde; sie war die Quelle, die ihn aufrechterhielt, körperlich und geistig. Sie lasen einander Lyrik vor; sie waren eins in ihrer Einsamkeit.
Ollie teilte die seine mit keinem. Er verspürte Erleichterung darüber, dass Josh gesund zurückgekehrt war, blieb aber trotzdem am Rand der Geschehnisse und verfolgte sie aus einem Abstand. Er spielte auf seiner Flöte, und ab und zu tanzten kleine Gruppen sogar zu seiner Musik, aber sie war im Grunde nur für ihn selbst gedacht.
Ollie war im übrigen mit nur zwei anderen Empfindungen beschäftigt. Die eine war der Hass auf die Stadt ohne Namen. Schon zweimal in seinem Leben war er von den Kreaturen dort beinahe umgebracht worden. Dass es die Stadt immer noch gab, konnte er nicht mehr ertragen. Er freute sich auf den bevorstehenden Angriff. Er gedachte viele Vampire zu töten.
Und damit war schon sein zweiter Punkt angesprochen, der Aba betraf. Die Anwesenheit des sanften Vampirs in dieser Schar von Menschen beschäftigte ihn unaufhörlich und wurde ihm von Tag zu Tag unerträglicher. Noch ärger war aber Abas Versäumnis, diesen Hass zu rechtfertigen – es ging einfach darum, dass Aba zu gut war.
Ollie war dazu übergegangen, ihn offen zu beleidigen – zur Freude vieler Buchleute –, aber Aba ließ sich nie provozieren. An diesem Festtag war Ollie noch mürrischer als sonst. Es ging ihm oft so, wenn andere besonders festlich oder freudig gestimmt waren, weil er sich dann noch stärker als Außenseiter vorkam. Er begegnete Aba deshalb nicht gerade freundlich, als sie sich zufällig in einer ruhigen, stillen Lichtung des Wäldchens begegneten;
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