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Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity

Titel: Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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dabei bin, als wäre ich Luft. Sie haben es gestern selbst beobachten können, beim Abendessen.«
    »Ich habe Lefebre mitgeteilt, dass ich mich nicht von ihm als Spionin benutzen lasse«, sagte ich.
    Lucy schnitt ein Stück von ihrem Fleisch ab, dann blickte sie zu mir auf – und lächelte zum allerersten Mal. Die Veränderung war erstaunlich. Sie war so hübsch und hatte in so jungen Jahren bereits so viel Unglück erlebt. Wenn schon nichts anderes, so wollte ich dieses Lächeln häufig Grübchen auf ihre Wangen zaubern sehen, bevor ich wieder von hier wegging. Doch ich durfte nichts vor ihr geheim halten, sonst würde sie mir niemals vertrauen.
    »Ich habe ihn gefragt, ob er etwas über Ihre Eltern wüsste, und er sagte mir, Sie wären eine Waise«, gestand ich.
    Ich bereute meine Worte auf der Stelle, denn das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht und aus ihren Augen, und der düstere Ausdruck kehrte zurück.
    »Oh ja«, sagte sie. »Meine Eltern sind ertrunken.«
    »Das ist ja furchtbar!«, rief ich aus. »Was für eine Tragödie!«
    Sie zuckte die Schultern. »Ich habe keine Erinnerung an sie. Sie waren auf der Rückreise aus dem Osten. Mein Vater war dort gewesen, um das Teegeschäft in Gang zu bringen und das Kontor zu gründen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie nur mit Seide gehandelt, und das, seit der erste Roche nach London gekommen war und in Spitalfields sein Geschäft eröffnet hatte. Der unanständige alte John Roche, von dem Tante Christina Ihnen gestern erzählt hat. Damals machten sie die Stoffe noch selbst, beziehungsweise Weber machten sie. Die Weber arbeiteten damals auf den Dachböden der Händlerhäuser mit Handwebstühlen, ganze Familien, selbst die Kinder, sobald sie alt genug waren für diese Arbeit.
    Aber die Firma der Roches ist schon immer mit der Zeit gegangen. Sobald die neuen Fabriken im Norden von England öffneten, wo Seide mithilfe von Maschinenwebstühlen hergestellt wird, erstand Onkel Charles Anteile an Fabriken in Macclesfield und Derby. Die Londoner Webereien wurden geschlossen. Natürlich verloren dadurch die Weber ihre Arbeit. Viele von ihnen fanden sich deswegen im Armenhaus wieder und mussten so schwere Arbeiten übernehmen, dass ihre Hände ruiniert wurden und sie niemals wieder mit Seide arbeiten konnten. Aber wie jeder Roche schon früh lernt, im Geschäft gibt es keinen Platz für Sentimentalitäten … und anderswo ist auch nur herzlich wenig Raum dafür.«
    Lucy unterbrach sich, um einen Schluck von ihrem Tee zu trinken.
    »Ich war gerade erst zwölf Jahre alt, als Onkel Charles mich mit nach Norden nahm, um eine der Fabriken zu besuchen, denn er dachte, ich sollte den Fortschritt unseres modernen Zeitalters sehen. Es war ganz entsetzlich, Lizzie. Sie hätten die großen Wasserräder sehen sollen, das laute Donnern und Rauschen des Wassers hören! Wir wurden in eine riesige Halle voller Maschinen geführt, die noch mehr ohrenbetäubenden Lärm machten! Die Hitze war so groß, dass ich dachte, ich würde ohnmächtig. Und was soll ich sagen, einige der Arbeiter waren Kinder, genauso wie ich damals! Einige waren sogar noch jünger als ich, einige ein wenig älter. Ich war sehr traurig und fragte meinen Onkel, warum sie nicht in der Schule wären. Er sagte mir, sie müssten arbeiten, weil ihre Eltern arm wären. Sie hätten Glück, einen Arbeitgeber gefunden zu haben, der so viele Stellen anbieten würde. Er sagte, die ganz kleinen müssten nur sechseinhalb Stunden am Tag arbeiten, und das wäre ein ›Fortschritt‹. Bevor die Regierung die neuen Gesetze verabschiedet hätte, hätten die Kinder noch viel länger arbeiten müssen. Heutzutage arbeiteten die älteren Kinder und die Frauen nur noch zehneinhalb Stunden am Tag. Das klang in meinen Ohren immer noch nach sehr viel, doch Onkel Charles sagte, es wäre eine bedeutende Verbesserung und ein Zeichen unseres ›aufgeklärten Zeitalters‹. Für mich war es sehr, sehr traurig. Die Kinder sahen so blass und so krank aus. Während ich dort war, sah ich, wie ein kleiner Junge am Webstuhl einschlief, einfach so. Er wäre in die Maschine gefallen, wäre nicht Onkel Charles hinzugesprungen und hätte ihn weggezogen. Dann kam der Vormann, ein großer, vierschrötiger Kerl, und verprügelte den kleinen Jungen, weil er auf der Arbeit geschlafen hatte. Hernach führte Onkel Charles mich nach draußen. Er meinte, ich hätte genug gesehen. Ich denke, er hat selbst ein ganzes Stück mehr gesehen, als er sehen

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