Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity

Titel: Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
Vom Netzwerk:
wollte.«
    »Was brachte ihn dazu, den Import von Tee zu seinen Geschäftsinteressen hinzuzufügen?«
    Sie zuckte die Schultern. »Onkel Charles meinte, Diversifizierung könne nie schaden.« Unvermittelt sprach sie mit tiefer, sonorer Stimme und imitierte ihren Onkel: »Wenn es ums Geschäft geht, leg nie all deine Eier in ein und denselben Korb!«
    Ich dachte ironisch, dass mein verstorbener Großvater genauso gedacht haben musste, als sich seine Geschäftsinteressen weg vom Stoff hin zu einem bekannten Slumvermieter verlagert hatten. Ich fragte mich, in welchen Geschäften Charles Roche sonst noch die Finger hatte. Lucy besaß ein freundliches Herz und empfand Mitleid mit den jungen Arbeitern, die in dem Lärm und der Hitze und dem Staub der Fabriken schuften mussten, um Luxusstoffe für die Reichen zu produzieren. Der Eindruck, den ich von Charles Roche gewonnen hatte, war der eines liebenswürdigen Mannes. Ich hielt seine Besorgnis um das Wohlergehen seiner Nichte für echt. Im Geschäft hingegen sah er ohne Zweifel nur Gewinn und Verlust und keine menschlichen Schicksale. Es erinnerte mich an die Leute, die ihre Kaminfeuer gedankenlos hoch auflodern ließen mit Kohlen, die unter höchst gefährlichen Bedingungen unter Tage abgebaut wurden, nicht selten auf Kosten von Menschenleben.
    »Sie wissen eine Menge über die Geschäfte Ihrer Familie, Lucy«, sagte ich.
    Wie am Abend zuvor verwandelten sich ihre so kindlichen Gesichtszüge und nahmen einen Ausdruck von so zynischer Resignation an, dass ich einmal mehr schockiert war. Es schien so unwirklich, so fehl am Platz. Dann war der Moment vorbei, und der Ausdruck wich einem von fast genauso abstoßender Frivolität.
    »Ich bin eine geborene Roche. Geschäfte, Geschäfte, über nichts anderes wird im Haus meines Onkels geredet«, sagte sie leichthin. »Es wäre nicht anders gewesen im Haus meines Vaters, würde er noch leben. Vielleicht hat meine Mutter ihn nach China begleitet, um der Gesellschaft meiner Tanten und dem Gerede über Geschäfte zu entgehen, wenigstens für eine Weile. Es muss ihr wie ein großes Abenteuer erschienen sein, und ich kann es ihr nicht verdenken. Sie hatten mich in der Obhut von Onkel Charles und von Dienstboten zurückgelassen. Das Schiff sank in einem Taifun, wie ich bereits erzählte. Sobald ich alt genug war, schickte mich Onkel Charles auf eine Internatsschule.«
    Sie aß einen weiteren Bissen Fleisch, bevor sie mit der gleichen unwirklichen, deplatzierten Heiterkeit fortfuhr: »Verstehen Sie jetzt – ich war immer nur eine Last, eine Unannehmlichkeit für jedermann.«
    »Ich bin sicher, dass Sie sich irren!«, protestierte ich.
    Sie schüttelte den Kopf und beugte sich über den Tisch, um auf dramatische Weise zu verkünden: »Oh, Sie kennen meine Familie noch nicht. Die Roches sind höchst respektabel, Lizzie, genau wie meine Tante Christina gestern Abend groß und breit erzählt hat. Auch wenn wir aus John Roches Tagebüchern wissen, was für ein zügelloser Schurke er gewesen ist. Ich fand die Tagebücher, als ich zwölf war, versteckt in einer Schublade im Haus von Onkel Charles. Niemand weiß, dass ich sie gelesen habe, außer Ihnen. Siebzehn illegitime Kinder! Stellen Sie sich das vor, siebzehn! Am Ende wollten selbst die anderen Hugenotten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Außer natürlich, wenn es ums Geschäftliche ging – dafür setzten sie sich über ihre Skrupel hinweg.
    Tante Christina hat selbstverständlich beschlossen, diesen längst zurückliegenden Skandal zu vergessen. Wenn sie wüsste, dass die Tagebücher existieren und sich im Besitz von Onkel Charles befinden, würde sie keine Ruhe geben, bis sie sie gefunden und verbrannt hätte! Onkel Charles hat eine beträchtliche Sammlung von Büchern, von denen niemand etwas weiß außer mir. Er bewahrt sie alle in diesem Schreibtisch auf.«
    Ihr Blick begegnete dem meinen. In ihren Augen entdeckte ich einen herausfordernden Glanz. Sie wollte sehen, ob ich schockiert war, und wartete gelassen auf meinen Protest.
    Sie schien enttäuscht, als ich ihre Beichte völlig gelassen entgegennahm. Allerdings konnte ich mich sehr gut erinnern, wie ich selbst mich mit den anatomischen Lehrbüchern meines Vaters versteckt und über die merkwürdigen Illustrationen gestaunt hatte. Ich musste zu der Zeit ebenfalls um die zwölf Jahre alt gewesen sein. Doch meine frühen Studien des menschlichen Körpers erschienen geradezu unschuldig im Vergleich zu dem, was Lucy allem Anschein

Weitere Kostenlose Bücher