Neugier und Übermut (German Edition)
»Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? – Oder muss ich mitkommen.«
Die kleinsten Anspielungen reichten, um große Heiterkeit auszulösen, erzählte mir Finck. Denn die Angst im Publikum, die sich immer wieder im Lachen befreite, trug die Stimmung des Abends und Finck »eine Verwarnung nach der andern ein«. »Die Spitzel wussten immer genau«, sagte er mir, »was sie mitzuschreiben haben. Immer wenn besonders laut gelacht wurde, wussten sie sofort: Da war was!«
Da rief zum Beispiel ein empörter Zuschauer »Judenbengel«, und Finck antwortete ihm spontan: »Sie irren sich, ich sehe bloß so intelligent aus.«
Ein kleines »Fragment« brachte Finck schließlich 1935 ins Konzentrationslager. Er spielte einen Kunden, der zum Schneider geht.
Der Schneider nimmt Maß.
Schneider: Fangen wir erst mal mit der Jacke an. Wie wäre es dann mit Winkel und Aufschlägen?
Kunde: Ach, Sie meinen eine Zwangsjacke.
Schneider: Wie man’s nimmt. Einreihig oder zweireihig?
Kunde: Das ist mir gleich, nur nicht diesreihig (das sprach Finck aus wie: Dies Reich)! …
Schneider: Dann darf ich vielleicht einmal Maß nehmen?
Kunde: Doch, doch, das sind wir gewöhnt.
Der Kunde nimmt Haltung an, der Schneider stellt sich mit dem Zentimetermaß neben ihn. Er nimmt Maß, während der Kunde die Hände stramm an die Hosennaht legt.
Schneider: (schaut auf das Maßband) 14/18 … Ach, bitte, steh’n Sie doch einmal gerade.
Kunde: Für wen?
Schneider: Und jetzt bitte den rechten Arm hoch – mit geschlossener Faust … 18/19. Und jetzt mit ausgestreckter Hand … 33 … Ja, warum nehmen Sie denn den Arm nicht herunter? Was soll denn das heißen?
Kunde: Aufgehobene Rechte.
Weil Werner Finck den Hitlergruß als die Aufhebung aller Rechte bezeichnete, schrieb der Gestapo-Spitzel am 16. April 1935: »Finck ist der typische frühere Kultur-Bolschewist, der offenbar die neue Zeit nicht verstanden hat … und der in der Art der früheren jüdischen Literaten versucht, die Ideen des Nationalsozialismus und alles das, was einem Nationalsozialisten heilig ist, in den Schmutz zu ziehen.«
Anfang Mai 1935 drehte Finck bei der Ufa in Babelsberg eine Komödie, als sich zwei Herren von der Gestapo um sechs Uhr nachmittags meldeten. Sie warteten artig eine Stunde bis Drehschluss. Finck verließ auch in dieser Situation nicht sein Humor.
»Ich fragte sie, ob ich sie mit meinem kleinen Fiat mitnehmen könnte«, sagte er, »aber sie meinten, es wäre doch besser, wenn sie mich mitnähmen. Und so stieg ich in deren schwarzen Mercedes und fuhr mit ihnen ins Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße.«
Das Verhör zog sich hin, Finck wollte aber zur Vorstellung in die Katakombe, weshalb er anbot, am nächsten Tag wiederzukommen. Da erfuhr er, dass die Katakombe geschlossen worden war. Er wurde ins Gefängnis gebracht.
»Bei meinem Eintritt sprang ein riesengroßer SS-Mann auf mich zu und fragte: ›Haben Sie Waffen?‹ ›Wieso‹, antwortete ich, ›braucht man hier welche?‹«
Werner Finck und einige seiner Mitstreiter von der Katakombe wurden in das, der SS unterstellte, Konzentrationslager Esterwegen im Emsland gebracht. Dort lernte er den todkranken Carl von Ossietzky, Herausgeber der Weltbühne und Friedensnobelpreisträger 1935, kennen, den Sozialdemokraten Julius Leber, der 1945 hingerichtet wurde, und Friedrich Ebert, den Sohn des ersten Reichspräsidenten und späteren Ostberliner Oberbürgermeister.
Am ersten Pfingstfeiertag befahl die KZ-Lagerleitung den Kabarettisten, zum Zeitvertreib eine Vorführung zu veranstalten.
»Wir haben so gelacht wie noch nie«, erzählte mir Werner Finck, der mit seiner runden Glatze, den bullaugenförmigen Brillengläsern und dem auch im Ruhezustand grinsenden Mund immer fröhlich wirkte. »Wenn wir in Berlin auftraten, schwang immer ein wenig Angst mit, die uns zur Vorsicht trieb. Aber jetzt konnte uns ja nichts mehr passieren: Wir waren ja schon im KZ. Nach der Vorstellung lobten uns zwei SS-Leute von der Lagerleitung, prima hätten wir’s gemacht. Aber warum wir denn nicht die harten Sachen aufgeführt hätten, deretwegen wir im KZ säßen. Als ich sagte, ich schwöre, in Berlin haben wir nicht ein bisschen mehr gesagt, lachte einer der SS-Leute und sagte: Das ist sicher ein Meineid!«
Am 1. Juli 35 wurden die Kabarettisten auf Anordnung von Hermann Göring, der Goebbels damit ärgern wollte, aus dem KZ entlassen. Die Schauspielerin Käthe Dorsch hatte die Entlassung betrieben; sie war
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