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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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eine Jugendfreundin von Göring.
    Die Kabarettisten der Katakombe wurden vor Gericht gestellt, doch die Verhandlung verlief anders, als von Goebbels erwartet: Das Publikum johlte, wenn die inkriminierten Texte vorgetragen wurden, die Richter schlossen sich dem Gelächter an und sprachen die Angeklagten frei. Dafür wurden sie dann aber in die Provinz strafversetzt.
    Werner Finck erhielt ein Jahr Arbeitsverbot, durfte also 1937 wieder im Kabarett der Komiker auftreten.
    Um einer erneuten Verhaftung zu entgehen, meldete er sich 1939 freiwillig zum Kriegsdienst und wurde zum Funker ausgebildet. Zur Freude seiner Kameraden trat er bei der Truppe dann in Unterhaltungsprogrammen auf.
    Nach dem Krieg machte er weiter wie zuvor: Er spielte Theater, übernahm Filmrollen, ging mit seinem Ein-Mann-Kabarett- Programm auf Tournee. Aber immer trieb ihn die ernste Frage nach der »Freyheit« um. Und schon als es sich 1951 andeutete, dass Adenauer der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zustimmen würde, nannte Finck sein Programm »Hut ab, Helm auf«, das zu so großen Entrüstungsstürmen in der Politik führte, dass sogar der Bundestag darüber debattierte.
    Nach dem Kaffee sagte mir Werner Finck, er übernachte bei einem Bekannten in Köln, so besorgte ich mir den VW meines Freundes Dachs, so sein Spitzname, und brachte Finck dorthin. Wir haben dann bis spät in die Nacht darüber geredet, wie wir eine Diskussion zwischen Intellektuellen und Politikern in Bonn organisieren wollten. Und wir planten schon, wie wir die Diskussion finanzieren würden.
    Ich kannte Johannes Wasmuth, einen Impressario sondergleichen, der im ehemaligen kaiserlichen Bahnhof Rolandseck, wo er selber unter dem Dach lebte, Konzerte organisierte und eine Kunstgalerie betrieb. Er hatte sogar vermittelt, dass Oskar Kokoschka den ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer malte – und hatte sich diese Vermittlung von einem deutschen Verlag mit einer großen Summe bezahlen lassen. Ich rief Johannes an, machte ihm einen Auftritt von Werner Finck in seinem Bahnhof schmackhaft, und schon schlug er vor, wir könnten gleich am nächsten Abend alles besprechen und festzurren.
    Wasmuth besaß einen BMW V8, heute noch einer der schönsten Oldtimer, ein äußerst geräumiger, moderner Wagen, mit dem wir auch am folgenden Abend in Richtung Köln fuhren, um mit Werner Finck dessen Auftritt im Bahnhof Rolandseck zu besprechen. Leider brach der alte BMW auf der Strecke zusammen, sodass wir die Reise mit einem Taxi fortsetzen mussten. Werner Finck ließ sich von meiner Begeisterung mitreißen, und Johannes Wasmuth schlug gleich den 14. März als Termin für den Auftritt Fincks im Bahnhof Rolandseck vor. Wasmuth würde die Organisation mit seinem gemeinnützigen Verein »arts and music« übernehmen und das Einspielergebnis verwenden, um das Colloquium »Intellektuelle und Politiker im Gespräch« zu veranstalten.
    »Wir nennen es: Geht Deutschland vor die Hunde, die es verbellen«, schlug Finck vor. Klang gut, fand ich.
    Bei den Einzuladenden waren wir großzügig. Peter Weiß, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Heinrich Böll und ähnliche Kaliber sollten angeschrieben werden, bei den Politikern würde ich mich an die Parteien wenden.
    Statt mich auf das mündliche Examen vorzubereiten, schrieb ich einige Tage später einen langen Brief an Werner Finck, denn ich besaß kein Telefon, was unter Studenten üblich war. Eine Woche später erhielt ich ein Telegramm: »Ausführlicher Brief unterwegs Gruß = Werner Finck«. Der Brief, der dann kam, war zunächst mein Brief mit kabarettreifen Anmerkungen Fincks.
    Ich hatte geschrieben: »Ich habe eine Liste (auch Odysseus ist auf Listen angewiesen gewesen, W. F.) angelegt, auf der einige (sie werden nie einig sein, W. F.) Herren mit Fragezeichen bedacht wurden.« Und so ging es in einem fort.
    Das Colloquium sollte nie stattfinden.
    Werner Finck hatte zu viele Termine, sodass er den Weg zum Bahnhof Rolandseck nicht fand. Die CDU und die FDP erklärten sich zu einem Gespräch bereit, die SPD antwortete gar nicht, wie auch viele der angeschriebenen Dichter und Denker. Hans Magnus Enzensberger bedankte sich für die Einladung, der er nicht folgen könne, »und zwar schon deshalb nicht, weil ich im spätsommer oder frühherbst für längere Zeit nach Cuba zu gehen hoffe, einem land übrigens, wo gespräche zwischen politikern und intellektuellen zum alltag gehören; aber dies nur nebenbei«. Er hatte seinen Brief in kleinen

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