Neugier und Übermut (German Edition)
Buchstaben geschrieben. Tatsächlich nahm Enzensberger zunächst ein Fellowship an der Wesleyan University an, wo ich Jahre zuvor studiert hatte, brach dort aber seinen Aufenthalt aus Protest gegen die US-Außenpolitik schon bald ab und ging nach Kuba.
Das Colloquium fand also nicht statt. Aber Werner Finck ist dann auf eigene Kosten an die Universität Bonn gekommen und hat im größten Hörsaal, der aus allen Nähten platzte, über sein Thema »Freyheit« gesprochen und mit uns diskutiert.
Zunächst sagte Finck, er habe den Titel umgeändert, in »Sire, geben Sie Gedanken …«
Und natürlich stutzten alle, da sie ja den berühmten Satz des Marquis Posa verstümmelt und um das Wort »Freiheit« amputiert sahen. »Diese Punkte stehen zur Debatte«, schrieb Finck später über seinen Vortrag, »diese Punkte machen aus der pathetischen Forderung eines schwärmerischen Idealisten die skeptische Kritik eines Spötters, der behauptet, dass unsere Zeit die Freiheit nicht so nötig hat wie die Gedanken über sie:
Was machen wir mit der Freiheit?
Was macht sie mit uns?
Was macht die Macht mit ihr?
Wer macht? Wehrmacht …«
Noch ein wenig naiv meinte ich, Freiheit gelte ad infinitum, sie ende erst an der Freiheit des anderen. Und dort, wo kein anderer ist, etwa in den Weiten des Wilden Westens, sei die Freiheit grenzenlos. Später hatte ich verstanden, was Werner Finck mit der Frage meinte, was macht die Macht mit »Freiheit«. Er kam auf das Wort »Wehrmacht« und spielte auf die Diktatur des Dritten Reichs an. Als ich dann 1981 mein erstes Buch veröffentlichte, erhielt es den Titel »Die Freiheit, die ich fürchte«. Ein Goethe-Zitat. Er sagte, wenn die Fürsten das Wort Freiheit im Munde führen, dann tun sie es, um die Leute zu unterdrücken. Das Buch endet mit meiner Aussage, nicht wenn die Strukturen sich verändern, wird sich in der Gesellschaft etwas verbessern, sondern erst, wenn sich das Denken (»Sire, geben Sie Gedanken …«) und das Handeln der Menschen verändert und sie sich wieder auf ihre Werte besinnen.
In der Zwischenzeit hatte ich mein Examen bestanden, vielleicht nur deswegen, weil ich im letzten Satz meines handgeschriebenen Lebenslaufes, den ich beim Oberlandesgericht abgegeben hatte, versprach: »Mit diesem Examen werde ich meine juristische Laufbahn beenden.«
Danach hatte ich angefangen, als freier Journalist Geld zu verdienen, weshalb ich mir auch ein Telefon leisten konnte. Unsere Kommunikation wurde also einfacher und fand häufiger statt. Eines Tages meldete sich Werner Finck aufgeregt. »Uli«, sagte er, »ich habe ein großes Angebot vom ZDF erhalten, ich nehme es aber nur an, wenn du mein Assistent wirst.« Natürlich sagte ich spontan zu, weil ich mir nichts Spannenderes vorstellen konnte, als mit Werner Finck zusammenzuarbeiten und von ihm zu lernen.
Das ZDF hatte Werner Finck vorgeschlagen, eine wöchentliche Kabarettsendung zu übernehmen. Es dauerte nicht lange, da bekam ich auch von einem mir bisher unbekannten Alfred Biolek, der beim ZDF die geplante Sendung mit Werner Finck betreuen sollte, eine Postkarte, in der er mir als freiem Mitarbeiter ein monatliches Honorar von 1500 DM anbot. Auch das fand ich nicht schlecht.
Finck und ich haben uns dann zusammengesetzt und erst einmal über einem Sendekonzept gebrütet. Aber inzwischen war Fincks ursprüngliche Begeisterung geschwunden. Er war jetzt 66 Jahre alt und meinte, ihm würde nicht genügend einfallen, um jede Woche eine Sendestunde mit gutem Kabarett füllen zu können. Das war eine kluge Einsicht. Finck sagte dem ZDF ab, das stattdessen Gerhard Löwenthal mit dem ZDF-Magazin installierte.
Und ich landete bei der ARD und der Sendung Monitor.
Nazis an der Universität –
das damals Übliche
Professor Wolfgang Schmidt habe ich lange nach meinem Studium auf der Straße in Bonn in der Nähe der Universität wiedergesehen. Er ging langsam. Eher ein wenig gebückt, von keinem Studenten oder gar einem Kollegen begleitet, trotz seines großen wissenschaftlichen Renommees. Ich erinnere mich an einen alten Latinisten im dicken grauen Mantel mit einer ledernen Aktentasche, dem ich stets ein wenig ehrerbietig als Erster den Gruß entboten habe, den er dann erwiderte, wie im Vorübergehen, ohne zu viel Freundlichkeit nach außen zu zeigen. Insgeheim hatte ich aber das Gefühl, dass wir uns doch ein bisschen besser verstanden, wie zwei Verschworene, die etwas verbindet, das sie nicht zeigen wollen.
Wir haben uns nur ein
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