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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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einziges Mal zu einem langen, für meine Zukunft bedeutsamen Gespräch getroffen, in dem er mir erklärte, was es bedeutet, Haltung zu zeigen. Denn mit seiner Haltung hat er mich, den er vorher gar nicht kannte, vor dem Rausschmiss aus der Universität gerettet.
    Bei diesem einen Treffen an einem dunklen Winternachmittag ist er mir zum Vorbild geworden: Er hat Haltung gezeigt nach dem lutherischen Motto: »Hier stehe ich und kann nicht anders.« Luther gefiel mir sowie schon, denn als mein älterer Bruder Wolfram in Heidelberg, wohin wir nach unserer Zeit in Japan gezogen waren, in den Konfirmationsunterricht ging, durfte ich ihn in die Friedenskirche an der Tiefburg in Handschuhsheim begleiten, als dort ein Schwarz-Weiß-Film über Luther gezeigt wurde. Der Kerl imponierte mir genau so wie Ulrich von Hutten, den ich auf einem Margarinesammelbild, mit dem Degen auf einem Tisch stehend und sich gegen die Verhaftung wehrend, als einen militanten Reformator kennengelernt hatte. Außerdem trug er denselben Vornamen wie ich. Das passte, fand ich Stepke. Heute missbrauchen leider Rechtsradikale seinen Namen wegen seiner Jubelschrift über den Sieg von Arminius über den römischen Fremdherrscher Varus.
    Doch zurück zu jenem dunklen Winternachmittag am 26. Februar 1965 – im Vormärz also. Es wird gegen fünf Uhr am Nachmittag gewesen sein, als ich an der Tür von Professor Wolfgang Schmidt klingelte. Ich wusste nicht, weshalb er mich zu sich gebeten hatte. Im Institut für Politische Wissenschaften bei dem wegen seiner kritischen Arbeit über die Weimarer Republik von konservativen Historikern wenig geschätzten, ja, sogar bekämpften, von uns Studenten aber verehrten Professor Karl- Dietrich Bracher verdiente ich als »Hiwi« im Zeitschriftenarchiv ein paar Mark.
    Als ich an diesem Morgen zur Arbeit kam, sagte mir die Sekretärin, der Dekan der Philosophischen Fakultät bitte mich dringend um einen Anruf. Mittags auf dem Weg in die Mensa schaute ich als Mitglied des Studentenparlaments im AStA vorbei, und auch dort wurde mir ans Herz gelegt, mich sofort bei Professor Wolfgang Schmidt zu melden. Also wählte ich die Nummer des Dekanats und wurde direkt mit dem Dekan verbunden. Er sagte mir, er müsse mich unbedingt sprechen, aber ich solle nicht in sein Büro kommen. Er möchte nicht, dass man uns zusammen sieht. Ach du lieber Gott, dachte ich leichthin, was mag das nur bedeuten! Nun gut, es verwunderte mich nicht, denn im Augenblick war ich wegen einer politischen Aktion, bei der mich nur wenige Professoren und fast noch weniger Studenten unterstützt hatten, nicht wohlgelitten weder bei Rektorat und Senat, noch beim AStA und dem Studentenparlament der Bonner Universität. Professor Schmidt gab mir seine private Adresse und bat mich, noch am selben Nachmittag bei ihm vorbeizukommen.
    Er öffnete selbst die Tür und führte mich in sein Arbeitszimmer. Es war hell beleuchtet, an allen Wänden zogen sich Bücherregale bis zur Decke hoch, alle vollgepfropft mit wissenschaftlichen Werken, und sein wuchtiger alter Schreibtisch quoll über von Papieren.
    Der Dekan behandelte mich mit Respekt, so als wäre ich seinesgleichen, was Studenten zu jener Zeit keineswegs gewohnt waren, bat mich mit äußerster Höflichkeit in einem bequemen Lehnstuhl an einem niedrigen Tisch, auf dem zwei Teetassen und eine Kanne standen, Platz zu nehmen. Auch er setzte sich. Vielleicht hat er sogar geseufzt. Es hätte zum Beginn unseres Gesprächs gepasst, denn er kam sofort zur Sache. Er habe letzte Nacht nicht geschlafen, vertraute er mir an, es bedrücke ihn etwas, dessen Ursache ich zu verantworten hätte. Und das sollte ich wissen.
    Am Ende unseres Gesprächs bewunderte ich ihn und hatte nicht nur Respekt vor dem Amt des Dekans, sondern auch heute noch Hochachtung vor einem Menschen, der mir vermittelt hat, was Haltung und Rückgrat bedeuten können.
    Sein Handeln wurde mir zu einem Vorbild.

    Die Herrschaftsverhältnisse an deutschen Universitäten waren 1965 ein Spiegelbild der autoritären Gesellschaft. So, wie in allen Behörden in Bonn, wie in den Gerichten, bei der Polizei und der Bundeswehr, in den Geheimdiensten, wie auch unter Managern des Wirtschaftswunders, so waren auch an den Universitäten die akademischen Schreibtischtäter in ihren Ämtern verblieben und mühten sich mit Erfolg, Emigranten die Rückkehr aus dem Exil zu vermiesen, häufig mit Erfolg, oder kritische Historiker wie Fritz Fischer oder Karl-Dietrich Bracher ins

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