Neukölln ist überall (German Edition)
der Grundsatz der sozialräumlichen Mischung.
Wir nehmen Zuwanderer als gleichberechtigte und gleichverantwortliche Partner ernst.
Jeder erhält die Chance auf einen eigenen Lebensentwurf und ein selbstbestimmtes Leben.
Ein tolerantes Neukölln akzeptiert jeden und hat klare Regeln. Wer gegen diese Regeln verstößt, muss mit der Intervention der Gemeinschaft rechnen.
Leistungsbereitschaft und die eigenen Fähigkeiten wie Kompetenzen sind der Motor für den gesellschaftlichen Aufstieg.
Bildung ist der Schlüssel zur Integration.
Integrationspolitik kann nie durch Projektpolitik gelingen.
Regelsysteme müssen sich dem Bevölkerungswandel anpassen.
Unsere Integrationspolitik orientiert sich an den konkreten Lebenslagen und Problemen der Menschen.
Wir definieren und lösen Probleme gemeinsam.«
Es ist sicher nur eine Petitesse, aber sie ist symptomatisch: An welcher Stelle der zehn Grundsätze, glauben Sie, haben sich leidenschaftliche Diskussionen entfacht? Richtig, Grundsatz vier, zweiter Satz. Es ist bei uns eben gesellschaftspolitisch immer noch so, dass allein schon die Erwähnung von Sanktionen gegen die Verletzungen von Gemeinschaftsregeln als anstößig und totalitär empfunden wird. Dahinter steckt diese Lebensphilosophie: Regeln sind für die gut, die sich daran halten. Aber sie sind ein unverbindlicher Vorschlag. Wenn jemand sich nicht daran halten will – auch gut. Dass die Regelverweigerung so gut wie immer zu Lasten der Allgemeinheit geht, ist halt der Preis, den die Gemeinschaft für die Individualität Einzelner zu tragen bereit sein muss. Das ist eine Logik, die mir fremd ist, aber eine nette Reinwaschargumentation von gesellschaftlichen Parasiten.
Den Startschuss gaben damals die Sprachkurse der Volkshochschule Neukölln. Auslöser war, dass mehr Bewerber eine Ablehnung zum Sprachkurs erhalten mussten, als wir Zusagen erteilen konnten. Das passte aus unserer Sicht nicht so sehr zur Aufforderung, alle Einwanderer sollen Deutsch lernen. Wir bauten unsere Volkshochschule um drei weitere Sprachzentren aus, und so ist das kleine Neukölln heute einer der größten Einzelanbieter auf dem Sektor »Deutsch als Zweitsprache«. Im Jahr 2011 haben in 580 Sprachkursen 6800 Teilnehmer aus 110 Nationen 62 000 Unterrichtsstunden erhalten.
Ein weiterer Schritt hin zu einer Willkommenskultur gelang mit der Umgestaltung unserer Einbürgerungen. War das Überreichen der Einbürgerungsurkunde früher ein bürokratischer Vorgang in einem schmucklosen Büro, so ist es heute Teil einer zweimal monatlich stattfindenden feierlichen Zeremonie. Der Vorsteher der Bürgervertretung, der Bürgermeister oder ein Dezernent begrüßen die Einzubürgernden, führen mit jedem einen kleinen Smalltalk und stehen für ein Erinnerungsfoto zur Verfügung. Alles wird umrahmt mit Musik, und zum Abschluss singen alle mehr schlecht als recht die deutsche Nationalhymne. Letzteres ist kein nationalistischer Fahnenappell. Den Neubürgern soll lediglich die Gelegenheit gegeben werden, einmal bewusst zur Kenntnis zu nehmen, wie sich die Nationalhymne anhört, die nun auch die ihrige ist.
Ich habe im Laufe der letzten Jahre ungefähr 6500 Menschen eingebürgert. Die Auswirkungen sind auf der Straße spürbar. Oft winken mir Menschen zu oder sprechen mich an. Sie kennen eben ihren Bürgermeister von der Einbürgerung. Übrigens: Nicht wenige Neu-Neuköllner haben Spaß an der Feierstunde. Viele bringen Angehörige und Blumen mit, haben ihren feinsten Anzug an und sind sichtlich gerührt. Manche kommen auch mehrfach, nur so zum Zuschauen. Die paar, die mir die Hand nicht geben oder vor der Nationalhymne rausrennen, verkrafte ich da leicht. Selbst meine Streetfighter benehmen sich. Na also, geht doch.
Seit 2004 haben wir im Rathaus die Aktion »Bürger helfen Bürgern«. Türkische und arabische Vereine bieten wochentags Beratung in ihrer jeweiligen Muttersprache an. Es werden Briefe erklärt, Anträge ausgefüllt oder auch Hilfestellungen beim direkten Behördenkontakt geleistet. Gut 2500 Beratungsgespräche im Jahr finden so statt. Bis jetzt etwa 20 000. Ein schöner Erfolg. Die Selbsthilfe-Aktion entstand aus der Forderung des Türkisch-Deutschen Zentrums und des Vereins AKI (Arabisches Kulturinstitut) nach mehr Orientierungshilfe für die Einwanderer im Behördenverkehr. Ich bot damals an, Räume, Telefon und Computer kostenlos zur Verfügung zu stellen. Nicht jammern, sondern eben tun, riet ich. Der Hinweis wurde aufgenommen. Der Start
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