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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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war schwierig. Und für einige politische Mandatsträger war das Überlassen eines Rathaus-Raumes schon die Vollendung der Landnahme. Es gab Testanrufe, Kontrollbesuche und Ausspähungen. Eigentlich war das auch fast wieder unterhaltend.
    Entsprechend unserem Leitbild zur interkulturellen Öffnung haben wir seit 2006 auch ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass vorhandene Ausbildungsplätze mit jungen Leuten aus Migrantenfamilien besetzt werden. In Zahlen bedeutet das, dass wir seither von 183 Auszubildenden für den Beruf des Verwaltungsfachangestellten 72 junge Leute mit Migrationshintergrund ausgebildet haben bzw. noch ausbilden. Das sind knapp 40   %. Bei diesen jungen Leuten gibt es zwei Auffälligkeiten. Männer sind eindeutig unterpräsentiert. Ein Beruf im Büro entspricht nicht dem, was aus ihrer Sicht die Aufgabe eines Mannes ist. Als ich einmal einen jungen Mann fragte, ob er nicht Lust habe, sich im Rathaus zu bewerben, lautete seine Antwort: »Glaubst du, ich bin schwul, oder was?« Die verquere Erziehung mit dem Männlichkeitswahn früherer Zeiten begegnet einem immer wieder.
    Der zweite Aspekt ist, dass wir bei der Ausbildung lernen mussten, wie extrem unterschiedlich die Ausstattung mit sozialen Kompetenzen ist. Die Ausschläge sind enorm. Die Zeiten, in denen ein gewisser Grundlevel an Benehmen, Pünktlichkeit und Lernbereitschaft vorausgesetzt werden konnte, sind offenbar vorbei. Einige der jungen Leute kriegen sich auch nach mehrfachen Beratungen und Ermahnungen nicht ein. Sie nehmen arbeitsrechtliche Maßnahmen in Kauf, fühlen sich dann aber sofort diskriminiert und verfolgt, weil sie doch Ausländer sind. Diejenigen allerdings, die rundlaufen und bei denen die Basics, also Grundrechenarten und Umgangssprache stimmen, sind dann wiederum auch gleich wieder Vorbilder für die deutschen Azubis. Nur um Missverständnissen vorzubeugen, gebe ich den Hinweis, dass wir fehlende schulische Kompetenzen mit Nachhilfe während der Arbeitszeit auszugleichen versuchen.
    Trotzdem sind wir schließlich um die Erkenntnis nicht herumgekommen, dass uns als einer nicht im Produktionsprozess stehenden Behörde Grenzen gesetzt sind. Eine Ausbildungsstelle kann nun einmal nicht die Erziehung von Mama und Papa oder die Grundschule ersetzen. Unser stolzes Vorzeigeprojekt zur Ausbildung benachteiligter Migranten haben wir letzten Endes nach drei Jahren einstellen müssen. Unsere Ausbilderinnen und Ausbilder waren einfach nicht länger bereit, Prellbock für die vorhandenen massiven Defizite unfertiger und leider auch zum Teil unwilliger junger Menschen zu sein. Jedem Sprücheklopfer nach dem Motto »Da müssen sich die Arbeitgeber eben anstrengen, den maßgeschneiderten Azubi gibt es nun mal nicht« empfehle ich die Probe aufs Exempel bei sich selbst.
    Wir legen großen Wert auf die Förderung von Begabungen außerhalb des Standardbereichs. Ein Ansatz ist hierbei der Ausbau unserer Musikschule. In den letzten Jahren haben wir erhebliche Mittel investiert, um schon eine frühkindliche Förderung in der Musikschule zu ermöglichen. Das soll ein Baustein gegen die Segregation sein. Keine Familie verlässt Neukölln, weil das Kind hier keinen Geigenunterricht bekommt, lautet das einfache Konzept. 200 Honorarkräfte kümmern sich tagtäglich um die Musikschüler. Es gelingt uns auch immer wieder, der Musikschule neue Übungsräume und Aufführungsmöglichkeiten zu verschaffen. Das Projekt »Musik – Sprache – Bewegung« soll jedem Neuköllner Kind zwischen drei und sieben Jahren die Möglichkeit geben, ein Jahr kostenlose Förderung durch Musik zu erhalten. Der Unterricht findet in den Kindertagesstätten oder in der Musikschule in Gruppen von acht bis zwölf Kindern statt. Beim gemeinsamen Musizieren wird die Teamfähigkeit von Kindern mit unterschiedlicher sozialer, ethnischer und kultureller Herkunft gestärkt. Sie sollen lernen, aufeinander zuzugehen, dem anderen zuzuhören und ihn mit seinen Schwächen und Stärken zu akzeptieren. Die Musikschule ist eine wichtige Kulturwerkstatt der Integration, ohne dass es draußen dran steht. Leider ist es so, dass bildungsferne Eltern die Bedeutung des Musizierens für ihre begabten Kinder nicht erkennen wollen und sich nach dem Jahr der Kostenfreiheit zurückziehen. Wenn es anfängt, Geld zu kosten, ist Schluss mit lustig. Diese Erfahrung hatten wir bereits mit Schnuppertanzkursen gemacht, die nach der kostenlosen Phase nur noch auf geringes Interesse stießen. Da hilft

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