Neukölln ist überall (German Edition)
immerhin acht Jahre. Alle für den Bezirk wesentlichen Weichenstellungen sind in dieser Zeit erfolgt. Auch wenn die Partner von einst heute in nur sehr eingeschränktem Maße noch Sympathien füreinander empfinden, so wird man in einer retrospektiven Betrachtung diese Epoche einmal als ausgesprochen fruchtbar für Neukölln beurteilen. Im Geschichtsspeicher zählt das Ergebnis. Für lächerliche Animositäten und kleinkarierte Kindereien ist da kein Platz. Wir konnten zwar die fast naturgesetzlichen Entwicklungen nicht anhalten und auch nicht rückgängig machen, weil eine Bezirksverwaltung nicht über die großen Stellschrauben verfügt. Aber wir haben viele Impulse gesetzt und mit innovativen Projekten bewiesen, dass man Integration machen kann und nicht passiv auf sie warten muss. Ich denke, Neukölln würde heute anders aussehen, wenn nur ein Bruchteil der Sonntagsreden und vollmundigen Versprechungen durch Land und Bund in die Tat umgesetzt worden wären. Es ist eben keine nachhaltige Politik, sich, wenn alle Medien da sind, in einem Konvoi aus schwarzen Dienstwagen vor die Rütli-Schule vorfahren zu lassen, eine Stunde ein wichtiges Gesicht zu machen und dann auf Nimmerwiedersehen abzurauschen.
Wir fingen ganz klein an und setzten erst einmal einen Migrationsbeauftragten und einen Migrationsbeirat ein. In einem Bezirk mit 120 000 Einwanderern gab es beides bis dahin nicht.
Das Ziel unserer Politik war nicht der nächste Workshop, nicht die nächste Resolution und nicht die nächste Seminarübung. Unsere Arbeit sollte (und soll immer noch) nachprüfbare, praktische Ergebnisse haben. So entstand unser Kollege UDO : unmittelbar, direkt, operativ – das war und das ist unser Handlungsansatz. Im Laufe der Jahre entwickelten sich daraus Grundsätze und ein ganzes Konzept. Mit unserer Berufung in den Kreis der Intercultural Cities erhielten wir dafür sogar internationale Weihen. Aus dem Konzept nach außen entstand zwangsläufig ein Leitbild zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung des Bezirksamtes Neukölln. ***
An dieser Stelle möchte ich lediglich die Präambel unserer Integrationspolitik und die zehn Grundsätze wiedergeben:
»Präambel
Integrationspolitik vollzieht sich weder von allein noch ist sie die Angelegenheit Einzelner. Sie ist vielmehr ein hochkomplexer wie hochsensibler Vorgang, der eine offene und aufnahmebereite, aber auch konfliktfähige Gesellschaft erfordert.
Die Hinzukommenden hingegen müssen Integrationswilligkeit, Lernfähigkeit und Anpassungsbereitschaft mitbringen. Für die individuell beteiligten Personen können die einzelnen Schritte bis zur erfolgreichen Bewältigung dieses Prozesses, also bis zum Abschluss einer erfolgreichen Integrationskarriere, als anstrengend, widersprüchlich und voller Zweifel empfunden werden, einschließlich einer Identitätsreflexion. Die Aufnahmegesellschaft läuft gleichzeitig immer Gefahr, aus Gleichgültigkeit, Ignoranz und Überfremdungsängsten die notwendigen Anstrengungen zu unterschätzen oder auch zu unterlassen, die Migranten zu über- oder unterfordern bis zu falsch verstandener Liberalität, die Integrationsnotwendigkeit in die Beliebigkeit zu stellen. Die Folgen gescheiterter Integrationspolitik sind immer gefährdete bzw. verlorene Wohnquartiere einerseits und misslungene Lebensentwürfe und Lebensverläufe andererseits. Schuldzuweisungen erfolgen stets wechselseitig in Form der beklagten Opferrolle wie der postulierten Integrationsverweigerung.
In Neukölln versuchen wir, diesen Zyklus zu durchbrechen. Dieses ehrgeizige Vorhaben kann weder in Neukölln noch gesamtgesellschaftlich durch singuläre Aktionen oder Einzelkämpfer zum Erfolg geführt werden. Nur ein Netzwerk mit umfassenden Kompetenzen, vielfältigen Ansätzen und Möglichkeiten, gebündelten Ressourcen auf und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen ist in der Lage, die multiplen Herausforderungen zu meistern. In Neukölln besteht dieses Netzwerk aus so gut wie allen Akteuren des Sozialraums. Öffentliche wie freie Träger, Bezirks-, Landes- und Bundesinstitutionen, Verbände und Vereine, politische Initiativen wie bürgerschaftliches Engagement, deutschstämmige Bürger wie Neuköllner mit Migrationshintergrund arbeiten gemeinsam am Laboratorium Neukölln, einem Schmelztiegel und Dienstleister der Integration für die Gesamtstadt.
Zehn Grundsätze:
Alle Menschen in Neukölln leben nach den Werten und Regeln der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung. Es gilt
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