Neukölln ist überall (German Edition)
sagen: Ein türkischstämmiger Migrant muss seinen Integrationswillen nicht dadurch unter Beweis stellen, dass er Lederhosen anzieht, Bier nicht unter einem Mengenmaß von einem Liter in sich hineintut und zum Frühstück Weißwurst isst. Es reicht völlig aus, wenn er die tragenden Grundsätze unserer Verfassung als bestimmende Elemente auch seines Lebens und des Lebens seiner Familie akzeptiert. Wenn er sich bemüht, zumindest die Grundkenntnisse der Landessprache zu erlernen, um mit den anderen Bürgern der Gesellschaft kommunizieren zu können, seine Kinder in die Schule schickt und den Müll zur Mülltonne trägt, anstatt ihn vom Balkon zu werfen.
Wer sich in einen anderen Kulturkreis begibt, muss wissen, dass er dort auf andere Regeln des Zusammenlebens trifft. Er muss sich vorher entscheiden, ob er bereit ist, diese anderen Lebensweisen für sich und seine Familie zu übernehmen.
Der, der neu in einen Sportverein kommt, stellt die Frage: »Wie läuft das hier bei euch?« Und wer in einen Handballverein eintritt und dort Fußball spielen will, wird schnell merken, dass die geltenden Regeln sich ungünstig auf seine Erwartungshaltung auswirken. Er wird dann ein Haus weiter ziehen (müssen). Übertragen wir diese Banalität auf die Integration fremder Kulturkreise in bestehende, über Jahrhunderte hinweg erkämpfte und herausgebildete Kulturriten, so kommen wir zu der wahrlich nicht überraschenden Erkenntnis, dass der Zuwanderer sich den Normen der Zielgesellschaft anpassen muss. Ja, dass er mit der Forderung, dass er sich anzupassen hat, konfrontiert wird. Seine etwaige Erwartung, dass die neue Gesellschaftsordnung ihn aufgrund ihrer Toleranz trotz seiner abweichenden Verhaltensweisen akzeptieren wird oder gar zu akzeptieren hat, führt ihn dagegen in den klassischen Konflikt. Denn er befindet sich damit automatisch auf einem permanenten Prüfstand, ob er nicht auf Kollisionskurs mit dem gesellschaftlich akzeptierten und praktizierten Wertegerüst der Mehrheitsgesellschaft ist. Die Spaltung der Familie oder eine aufreibende Auseinandersetzung mit den Kindern kann die unerwünschte Folge sein. Wer sich nicht anpassen will oder kann, sollte nicht wandern.
Aus dem Vorstehenden folgt für mich der Lehrsatz Nummer eins: Integration und die Bereitschaft dazu sind an erster Stelle eine Bringschuld der Hinzukommenden. Dieser Grundsatz ist so selbstverständlich, dass es schon fast an eine Verspottung der Leser grenzte, hierzu noch lichtvolle Ausführungen zu machen. Und doch ist es erforderlich. Denn wer den Satz so formuliert, wie ich ihn formuliert habe, zieht bereits argwöhnischste Blicke auf sich: Ist es denn nicht so, dass derjenige, der sich aus seiner bisherigen Gesellschaftsordnung verabschiedet, dies deswegen tut, weil sie ihm nicht die Freiheit, den Lebensstandard, den Wohlstand und die Perspektiven geboten hat, von denen er träumt? Er macht sich auf den Weg, um eine Gesellschaft zu finden, die ihm all das bietet, was er für sich mit Lebensglück umschreibt. Das neue Land soll ihm all das geben, was er zu Hause vermisst. Wenn er es gefunden hat, was ist dann falsch daran, von ihm zu fordern, dass er all seine mitgebrachten Fähigkeiten einbringen möge, um in der neuen Gesellschaft einen Platz zu finden und sie damit zu stärken?
Die Gesellschaft, in der er angekommen ist, ist nicht von allein entstanden. Und sie existiert auch nicht Tag für Tag von allein. Sie ist, wie sie ist, weil über Generationen Menschen an ihr gebaut, Werte zusammengetragen und um einen gerechten Weg gerungen haben. Sie existiert, weil auch im Alltag immer wieder um die Grundlagen einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft gestritten wird. Gesellschaft ist nichts Statisches. Sie ist nicht einfach da und entsteht nicht qua Naturgesetz. Nein, sie muss von den Bürgerinnen und Bürgern jeden Tag aufs Neue gelebt und, wenn es sein muss, auch verteidigt werden. Einem Einwanderer zu sagen: »Herzlich willkommen, schön, dass du ein Gewinn für unsere Gemeinschaft sein willst, dann zeig, was du kannst und mach mit! Ja, mach nicht nur mit, sondern zeige auch, dass du mit uns leben willst, wie man in Deutschland lebt« – was ist daran verwerflich?
Verfolgt man diesen Gedanken konsequent weiter, kommt man unausweichlich zu der Frage: Darf eine Gesellschaft von den Hinzukommenden erwarten, dass sie nicht nur zur kulturellen Bereicherung beitragen, sondern auch zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität? An dieser Stelle
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