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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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werden nicht wenige die Augenbrauen hochziehen. Das riecht ja nach Verwertungsprinzip: Der Mensch wird nicht in seinem ethisch-humanistischen Sein gesehen, sondern nach seiner Vermarktbarkeit kategorisiert. Pfui, da ist sie ja, die entlarvende Stelle. Aber welchen Sinn sollte Einwanderung denn sonst haben, außer dem, dass der Hinzukommende eine Bereicherung ist? Besteht der Sinn und Zweck der Einwanderung denn darin, den Mühseligen und Beladenen einen Silberstreifen am Horizont zu bieten? Und wenn ja, allen oder nur einigen, und wenn, welchen? Ist es nicht eher so, dass die Völker es selbst in der Hand haben, darüber zu entscheiden, in welcher Staatsform, mit welchen Freiheitsrechten und mit welchen materiellen Wohlstandsnormen sie ihr Land gestalten wollen?
    Wir sind mit den Regeln, die wir haben, zufrieden. Wer zu uns kommt, muss sie bejahen und sich an der Mehrung des Wohlstands dieser Gesellschaft aktiv beteiligen – ist es nicht das Recht einer jeden Gesellschaft, das zu sagen? Wem eine demokratische, liberale und tolerante Gesellschaft, aufgebaut auf der Würde und Freiheit des Individuums, zu unmoralisch, gottlos und verdorben ist, der muss seine Suche nach der vollkommenen Reinheit und seinen spirituellen Erwartungen fortsetzen. Deutschland ist kein Gottesstaat, und wer solchen Gedanken nachhängt, kann nicht zu uns gehören.
    Ein besonderes Kapitel ist sicher der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan. Bereits zweimal hat er Kostproben seiner nationalistischen Innenpolitik in Deutschland abgeliefert. Er inszeniert Fahnenmeere, um die türkische Diaspora als solche zu stabilisieren. Er wirft Deutschland die Verletzung von Menschenrechten vor, weil wir von Neueinwanderern einen minimalen Grundstock an Sprachkenntnissen verlangen. Er behauptet, Assimilierung sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und lässt sich dafür bejubeln . Ich verstehe zwar, was er damit meint, halte die Aussage aber schon inhaltlich für Unsinn. Man kann einen Menschen nicht gegen seinen Willen assimilieren, also zur Aufgabe seiner kulturellen Identität und Gepflogenheiten zwingen. Assimilierung kann eine Folge von Integration sein. Sie ist ein Prozess, der stattfindet oder auch nicht. Den Menschen geschehen lassen, vielleicht sogar wollen oder auch nicht. Sie ist aber keine gezielt steuerbare Maßnahme.
    Der Höhepunkt von Erdoğans Entgleisungen in Deutschland war sicherlich die Theaterpose, dass die türkischstämmigen Menschen unter der Garantie der großen türkischen Republik stehen, die sie mit allen seinen Möglichkeiten unterstützen und schützen werde. »Unterstützen – wobei? Schützen – vor wem?«, fragt man sich da doch automatisch. Wie sieht diese Unterstützung denn in der Praxis aus? Etwa so, dass man türkischen Staatsbürgern Geldbeträge für einen nicht geleisteten Militärdienst abpresst, wenn sie die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit beantragen? Schützen vor Deutschland und den Deutschen? Wie darf man das denn missverstehen? »Mit all seinen Möglichkeiten« – meint das die Luftwaffe oder die Marine? Das ist zwar nur eine rhetorische Frage, aber schon eine Lehrstunde aus dem Kapitel »Wie treibe ich Menschen auseinander?«. Ich möchte gar nicht wissen, welche Reaktionen eine ähnliche Inszenierung der Kanzlerin oder auch eines hohen christlichen Würdenträgers in der Türkei hervorrufen würden. Dazu wird es aber auch nicht kommen. Denn wir verbinden Gastfreundschaft auf der einen Seite immer auf der anderen Seite mit höflicher und respektvoller Zurückhaltung des Gastes.
    Wie weit geht kulturelle Identität? Inwieweit muss eine Gesellschaft gemessen an ihren eigenen Freiheitsnormen abweichendes Verhalten nicht nur tolerieren und dulden, sondern auch bewusst fördern? Darf eine Gesellschaft in einer beobachtenden Rolle verharren, oder gehört es nicht zu ihren Aufgaben, den Prozess der Integration aktiv zu steuern und dort, wo er auf Kollisionskurs zur staatlichen Ordnung gerät, intervenierend einzugreifen? Ist Kulturrelativismus eine hinzunehmende Erscheinung, weil die Menschenrechte Teil westlicher Kultur sind und sie daher für Muslime nur nachrangige Wirkung entfalten? Aus meiner Sicht natürlich nicht. Und auch an dieser Stelle befinde ich mich in guter Gesellschaft mit Cem Özdemir, dem Vorsitzenden der GRÜNEN , der »keinen kulturellen Relativismus, der die Menschenrechte in Frage stellt«, dulden will.
    Dort, wo die Dinge aus dem Ruder laufen, muss die

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