Neukölln ist überall (German Edition)
seiner Kultur.«
Wer will gegen diese Formulierungen ideologisch argumentieren? Auch die umstrittene Passage, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht, ist bei emotionslosem Hinsehen sprachlich geschickt formuliert. Die christlich-jüdische Geschichte wird klar getrennt von dem »inzwischen« hinzugetretenen Islam. Die Existenz von etwa 3,5 bis 4 Millionen Muslimen in Deutschland kann wohl niemand in Abrede stellen. Also ist der Islam da. Beabsichtigt war natürlich eine völlig andere politische Wirkung. Nämlich die, die eingetreten ist. Es ging nicht um einzelne Buchstaben, sondern darum, ob der Islam Teil des Wertekanons und der Werteschöpfung in Deutschland ist oder war. Wenn heute Funktionäre der Muslime im Brustton der Überzeugung behaupten, der Islam habe zur Entwicklung Deutschlands bis hin zu unserer heutigen demokratischen Gesellschaft Wesentliches beigetragen, dann darf sich niemand über Widerspruch wundern. Es hat einige geschmerzt, trotzdem war die Relativierung durch Bundespräsident Gauck richtig und notwendig, um die ins Nichts führende Debatte zu beenden.
Nun sind 5 % der Bevölkerung (ohne die Aleviten fast nur 4 %) ohne Frage eine klare Minderheit. In diesem Fall aber eine sehr aktive, manchmal auch recht aggressive. Mir gehen die Fragen, wie ich zum Islam stehe, was ich von ihm halte und ob ich finde, dass er kompatibel mit unserer Gesellschaftsordnung ist, inzwischen auf die Nerven. Ich habe gar keine Lust, mich andauernd über Religion zu unterhalten oder mir eine solche Unterhaltung aufzwingen zu lassen. Ich diskutiere auch nicht jeden zweiten oder dritten Tag über den Katholizismus, das Judentum, den Buddhismus oder Hinduismus. Religion ist bei uns Privatsache. Wer mit welchem Gott wie seinen Frieden findet, ist für mich ohne Belang. Jedenfalls so lange, wie er nicht den Anspruch erhebt, dass ich seinen Gott auch toll zu finden habe. Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass die Religion über den Normen der Gesellschaft steht, sie die Definition der Freiheit ist oder sie gar die Normen oktroyiert, sondern heißt, dass jeder die Religion, die für ihn das Heil bedeutet, ohne Angst vor staatlicher Repression oder Einmischung ausüben kann. Religionsfreiheit heißt auch, frei von Religion leben zu können.
Aus meiner Sicht entwickeln sich die Diskussionen und Konfliktsituationen immer dann, wenn mit der Religion weltliche Bezüge hergestellt und daraus zwanghafte normative Verhaltensweisen abgeleitet werden sollen. Ich meine die hinlänglich bekannten Auseinandersetzungen in der Schule, im Kindergarten, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum. Da gelangt eine Religion, die den Anspruch erhebt, spirituelle und weltliche Instanz zugleich zu sein, schnell an ihre Grenzen. Ehrlich gesagt, berühren mich die islamischen Glaubensriten genauso nur am Rande wie die der recht starken Hindugemeinde in Neukölln oder die der katholischen Kirche. Das hat nichts mit mangelndem Respekt zu tun, sondern ist lediglich Ausdruck einer persönlichen Distanz. Ich mag weder Halbmonde noch Kreuze in Schulen und Rathäusern.
In Neukölln bieten sich etwa 20 Moscheen den Muslimen zur Religionsverrichtung an. Mal sind es mehr, mal sind es weniger. Über die Eröffnung oder Schließung einer Moschee erfahren wir meist erst aus der Nachbarschaft. Immer dann, wenn sich eine leerstehende Fabriketage plötzlich zu bestimmten Zeiten meist mit Männern füllt, freitagnachmittags die Parkplätze in den umliegenden Straßen knapp werden oder auch Männer mit Kopfbedeckungen, langen Bärten sowie orientalischer Bekleidung ein- und ausgehen. Im Regelfall vollziehen sich derartige Dinge unspektakulär. Entscheidend für die Lang- oder Kurzlebigkeit ist, ob es dem Vereinsvorstand oder Imam gelingt, genügend Gläubige an sich zu binden, um das für das Überleben erforderliche Spendenaufkommen zu sichern. Anders als bei den christlichen Kirchen gibt es kein übergeordnetes Finanzierungssystem. Nur sehr wenige Moscheen legen offen, ob sie aus dem Ausland, etwa Saudi-Arabien, finanzielle Unterstützung erhalten. Außer zur Şehitlik-Moschee, die zur (staatlichen) Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion ( DITIB ) gehört, haben wir kaum regelmäßige Kontakte zu den Moscheevereinen. Sie sind auch nicht gewünscht. Wir fragen zuviel!
Die Struktur unserer Moscheen ist so heterogen wie die islamische Lehre. Die Hauptströmungen Sunniten, Schiiten und Aleviten machen durchaus das Gros aus, wobei
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