Neukölln ist überall (German Edition)
haben die Deutschen für Ausländerkinder keine Plätze, dann ist der Kindergarten zu weit von der Wohnung entfernt. Wenn das Kind schlechte Noten in der Schule hat, ist die Lehrerin oder der Lehrer schuld, weil sie das Kind nicht leiden können oder weil sie überhaupt Ausländer nicht leiden können. Am fehlenden Beruf ist der Ausbildungsplatzmangel und an der Straftat das Opfer schuld. Warum stand es da auch rum? Es gibt immer eine Ausrede, die dem anderen die Schuld zuschiebt. Ich möchte auf das Buch Schaut endlich hin von Margalith Kleijwegt hinweisen. Die Autorin hat die Schüler einer niederländischen Schulklasse ein Jahr lang begleitet. Sie hat alles aufgeschrieben, was sie erlebt hat. Sie erklärt, warum Verabredungen nicht eingehalten werden, warum man an Familien nicht herankommt und wieso ein gegebenes Wort im Zweifel nichts wert ist.
Auch ich habe das bei meiner Tätigkeit immer wieder erlebt. Es gibt immer einen Dritten, der schuld ist. Natürlich im Zweifel ein Deutscher. Die Opferrolle beruht eigentlich auf dem, was die deutsche Politik jahrelang propagiert hat. Ich weiß nicht, ob sie die Erfinderin dieser Haltung war oder sie nur von anderen übernommen hat. Sie, damit meine ich Frau Prof. Barbara John, die erste und jahrelange Ausländerbeauftragte des Berliner Senats. Sie hat in Berlin eine Politik kreiert, nach der ein Ausländer per se ein guter Mensch ist, denn er stellt eine Bereicherung dar. Ein Deutscher ist per se ein schlechter Mensch, weil er die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust niemals ablegen kann und immer latent ausländerfeindlich bleiben wird.
Mit dem rhetorischen Mittel der Übertreibung ist die Botschaft »Jeder Intensivtäter ist eine kulturelle Bereicherung« die Selbstbeerdigung der Integration.
Unterschichtverhalten ist eigentlich auf der Welt überall gleich, es hat keine oder kaum ethnische Ursachen. Auch die deutsche Suffski-Familie schüttet sich bis in den frühen Morgen zu, grölt und prügelt, schmeißt den Müll vom Balkon und kotzt ins Treppenhaus. Solches Verhalten führt genauso dazu, dass andere fortziehen, zum Beispiel integrierte Einwandererfamilien, und dass ein Wohngebiet zum Brennpunkt wird.
Jedes Volk hat seine Unterschicht. Das sind marginalisierte Gruppen von Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen Zugang in die Gesellschaft und in ein geordnetes, strukturiertes Leben gefunden haben. Wie hoch dieser Anteil für gewöhnlich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Bestimmt gibt es dazu soziologische Kennziffern. Auf jeden Fall ist der Anteil jedoch so niedrig, dass er nicht ganze Stadtteile dominiert und zum Kippen bringt. Die Einwanderung von Menschen aus Entwicklungsländern oder Schwellenländern, ausgestattet mit dem (meist rückständigen) kulturellen und zivilisatorischen Normalstandard ihres Heimatlandes, bringt zwar Bildungsferne ins Land, aber noch lange nicht automatisch auch Unterschichtverhalten. Plötzlich werden Verhaltensweisen, die bei uns eigentlich mit entsozialisierter Bevölkerung in Verbindung gebracht werden, zur allgemeinen Übung. Das Weiterleben wie in der Heimat, die rustikale Benutzung des Sozialraumes ohne jede Schranke und Rücksichtnahme führt dann bei uns zur Flucht derjenigen, die sich ein Zusammenleben mit anderen Menschen kultivierter wünschen. Die Einwanderung bewirkt somit einen Aufwuchs von bei uns eigentlich nicht mehrheitsfähigen Lebensweisen über ein Randproblem hinaus. Wenn alle sich identisch verhalten, werden Subkulturen plötzlich zur Norm. Bei einer Mieterumfrage in einem sozial sehr stark belasteten Quartier bewerteten 82 % der Mieter ihre Lebensqualität und ihr Wohnumfeld mit »befriedigend« bis »sehr gut«. Das System des Rückzugs auf den kleinsten gemeinsamen Nenner funktioniert auch hier.
Ich hatte versprochen, auf die Kriminalitätsdaten zurückzukommen, auch wenn nur in sehr zurückhaltender und vereinfachter Form. Die Jugendkriminalität in Neukölln hat sich von 1600 Straftaten im Jahr 1990 auf 2660 im Jahr 2011 erhöht. Allerdings lagen dazwischen auch schon Jahre mit weit über 3000 Straftaten. Demographisch hat sich in diesen mehr als 20 Jahren natürlich auch die Zahl der jungen Leute in Neukölln verändert. Um einen korrekteren Vergleich ziehen zu können, habe ich die Zahl der Straftaten auf eine feste Bezugsgröße umgerechnet. 1990 entfielen 25 Straftaten auf je 1000 junge Menschen unter 21 Jahren. Im Jahre 2007 waren es 58 Straftaten, und bis
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