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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Atmosphäre, mit denen erkennbar einheimischen Menschen begegnet wird. Meist sind es die älteren, die unter diesem Revierverhalten leiden müssen, oder ganz junge, denen man zeigt, wer das Sagen hat. Dieses ständige demonstrative Nichtbeachten von Umgangsformen wie Höflichkeit oder Rücksichtnahme, der einfachsten Regeln, wie man sich in der Öffentlichkeit gegenüber anderen benimmt. Das ist es, was die Leute fragen lässt: Wo bin ich denn hier eigentlich? Ist das noch meine Stadt, meine Heimat? Gerade die Alten berichten mir immer wieder über Demütigungen, die sie erfahren. Wie sie verlacht, angebrüllt, ja sogar geschubst und bespuckt werden. Deswegen kommen viele irgendwann zu dem Schluss: Ich mag diese Menschen nicht. Sie wollen mit mir nicht leben, dann will ich es mit ihnen auch nicht.
    Am deutlichsten wird dies beim Kontakt oder der Begegnung mit staatlichen Institutionen. Was mir die Mitarbeiter des Ordnungsamtes von ihrer Arbeit auf der Straße berichten, wie sie sich beschimpfen lassen müssen, wie ihnen Gewalt angedroht wird, ja, welcher konkreten Gewalt sie sich ausgesetzt fühlen und es mitunter auch sind, das ist nicht hinnehmbar. Und trotzdem nehmen wir es hin. Es sind auch keine Exzesse des Augenblicks, sondern es geht für die Platzhirsche immer wieder darum, wohlüberlegt zu demonstrieren, dass die Deutschen ihnen gar nichts zu sagen haben und dass die Regeln ihnen scheißegal sind. Ganz erfolglos sind sie damit auch nicht. Ich selbst habe immer wieder beobachtet, wie Streifenwagen an Situationen vorbeifahren, bei denen sie normalerweise anhalten würden. Eine Eskalation mit Widerstand ist wahrscheinlich, und die Polizisten sind zu wenige. Natürlich bestreiten die Polizeibehörden ein solches Verhalten. Würde ich an ihrer Stelle auch tun.
    In der Neuköllner Sonnenallee wird zum Beispiel häufig in drei Spuren geparkt. Der erste Wagen steht auf dem Bürgersteig, der zweite in der normalen Parkspur, der dritte in der zweiten Reihe, also der ersten Fahrspur. Wenn Sie als Autofahrer Pech haben, dann hält vor Ihnen in der zweiten Fahrspur jemand an und unterhält sich lautstark mit denjenigen, die dort vor dem Café sitzen und Tee oder Kaffee trinken. Machen Sie jetzt nicht den Fehler zu hupen oder auszusteigen, Sie könnten in eine unangenehme Situation geraten. Ein Problem, das Sie eventuell haben, könnte gleich »geklärt« werden, oder wenn Sie als Deutscher glauben, hier den Chef markieren zu können, würde man Ihnen zeigen, dass Sie gleich die Stiefel Ihres Gegenübers lecken. Anders ergeht es der Polizeistreife auch nicht. Das ist einfach nicht wie im Städtchen in der Heide oder dem Badischen Land. Dort hält die Streife an, zwei Polizeibeamte steigen aus, monieren die Situation, und alle sind bemüht, bloß keinen Stress zu haben und vor allem kein Geld bezahlen zu müssen. Ja, sagen sie, Herr Wachtmeister, wir regeln das gleich.
    Bei uns passiert erstmal gar nichts. Dann achten die Polizeibeamten darauf, möglichst nicht unter Armeslänge an die Person heranzugehen. Es könnte sonst sein, dass – schwups – die Mütze oder noch andere Dinge weg sind. Es setzt dann ein lautes Palaver ein, worum es denn überhaupt gehe, keiner wisse, wem die Autos gehörten, und die Polizisten sollten weiterfahren und nicht stören. Das alles passiert meist in aggressiver Haltung und aggressivem Ton. Eskaliert die Situation, müssen die Streifenbeamten Verstärkung herbeirufen. Und es kommt zu einem richtigen Einsatz. Unter Umständen auch mit körperlicher Gewalt. Da kann es dann hinterher schon einmal passieren, dass die Streifenbeamten von ihrem Dienstgruppenleiter gefragt werden, ob sie schon mal was vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört haben. Ob ihnen nicht klar gewesen ist, dass mit Widerstand zu rechnen war? Ob sie nicht wissen, wie solche Einsätze vom Gericht beurteilt werden?
    Neuköllner Dienstgruppenleiter wie Polizeihauptkommissar Karlheinz Gaertner haben unzählige Stunden bei Gerichtsverhandlungen verbracht und dort sehr häufig erleben dürfen, dass hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hoch im Kurs steht. Diese Verhandlungen endeten meist mit einem Freispruch zugunsten der Verkehrsrüpel, wobei im Gegenzug der Polizist froh sein konnte, nicht selbst verurteilt zu werden. Eine Vielzahl von Richtern ist eben nicht bereit, den Polizisten bei deren staatlichem Auftrag, die Verkehrsüberwachung durchzuführen, zu unterstützen bzw. geltendes Recht anzuwenden. Sie

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