Neukölln ist überall (German Edition)
sehen nur die Widerstandshandlungen im Verhältnis zur Ordnungswidrigkeit. Welche Aggressionen der Beamte bei seiner Ahndungspflicht über sich ergehen lassen muss und wie er das Recht in solchen Fällen überhaupt durchsetzen soll, interessiert diese praxisfremden »Gutmenschen-Urteiler« wenig. Wer eine solche Gerichtserfahrung einmal erlebt hat, der fährt eben auch vorbei, wenn er nur ansatzweise erkennt, welche »Krawallmacher« ihn dort erwarten.
Dass sie in bestimmten Situationen bei der Polizei anrufen, aber niemand kommt, tragen mir Bürger immer wieder vor. Angeblich wird ihnen sogar geraten wegzuziehen. Sie wüssten doch, wo sie leben. Natürlich sind es meist Bagatellfälle. Und ich kann die Beamten auch verstehen, dass sie keine Lust haben, wegen ein paar rauchender und lamentierender junger Männer einen Großeinsatz zu provozieren. Aber wer provoziert ihn eigentlich?
In den regelmäßigen Konsultationen mit der Polizeiführung werden die Ereignisse natürlich anders dargestellt. Menschlich kann ich das nachvollziehen. Ich wehre mich aber auch ein klein wenig dagegen, dass alle Bürger, die mir solche Berichte geben, nicht mehr richtig im Kopf sein sollen. Es gibt die normative Kraft des Faktischen, und es gibt Entscheidungen der Vernunft. Die Wirkung auf die Menschen ist allerdings negativ. Sie haben den Eindruck, die Straße habe die Macht übernommen.
Spinnen wir den konkreten Fall einfach weiter. Grundsatz bei uns ist, festgesetzte Personen so schnell wie möglich ins Fahrzeug zu verbringen, und dann ab durch die Mitte. Ist man nicht schnell genug weg, kann es passieren, dass das Polizeiauto sich unangenehmen Attacken ausgesetzt sieht, dass es umzingelt wird und gar nicht mehr wegfahren kann. Die Fälle der versuchten Gefangenenbefreiung erscheinen nur in den Medien, wenn sie eine bestimmte Dimension erreicht haben. Ich kenne die genauen Zahlen für die letzten Jahre in Neukölln nicht. Die von Berlin schon gar nicht. Fest steht aber, dass versuchte Gefangenenbefreiung ein nicht seltener Vorgang im Alltag unserer Polizeibeamten in Neukölln ist. »Wir haben gelernt, damit umzugehen«, sagte mir einer.
Derartige Beschreibungen lassen sich beliebig fortsetzen. Kontrollen und Überprüfungen in Grünanlagen zur Einhaltung des Grillverbotes sind nur mit Polizeischutz möglich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsamtes würden schlicht und ergreifend verhauen werden. Den Polizeibeamten könnte das Gleiche passieren, wenn sie zu wenige sind. Kontrolle von nichtangeleinten Kampfhunden oder ähnlichen »Nettigkeiten« führen schon mal dazu, dass die Beamten des Ordnungsamtes bespuckt werden, dass man ihnen ein Messer an den Hals hält oder sie niederschlägt.
Das ist unser Revier, hier herrschen unsere Gesetze, verpisst euch! –, lautet die Botschaft. Sie ist es, die das Verhältnis der Menschen untereinander von Grund auf belastet. Der erwähnte, seit Jahrzehnten in Neukölln tätige Polizeihauptkommissar Gaertner sagte mir neulich, er könne sich nicht erinnern, während seiner gesamten Dienstzeit einen Handtaschenraub oder einen Überfall von Einwandererjugendlichen auf eine Frau mit Kopftuch bearbeitet zu haben. Das Feindbild sind die verhassten Deutschen, sie sind das Ziel ihrer Aggressionen, und sie haben dem Flashmob nichts entgegenzusetzen: Per SMS -Rundruf finden sich in wenigen Minuten zahlreiche Menschen ein, die sofort eine drohende Haltung einnehmen. Deutsche gelten als leichte Opfer. Hiermit kann jeder im Alltag in Berührung kommen. Es kann Ihnen passieren, dass Sie bei einem lapidaren Auffahrunfall eine Überraschung erleben. Nämlich dann, wenn Ihr Unfallpartner äußerlich eindeutig als Einwanderer zu erkennen ist. In diesem Fall werden Sie und Ihr Kontrahent in Blitzesschnelle von mehreren »Zeugen« umgeben sein, die alles genau gesehen haben. Nicht Ihr Hintermann ist auf Sie aufgefahren, sondern Sie sind ihm schneidig im Rückwärtsgang reingefahren. Im Zweifel gilt es, der ethnischen Schwester und dem ethnischen Bruder zu helfen. Was wahr ist und was nicht, hat bei einem »Ungläubigen« keine Bedeutung. Das sind so die kleinen Erlebnisse, die die Menschen hier mitunter so »fröhlich« stimmen.
Wir erziehen unsere Kinder zur Gewaltlosigkeit. Wir ächten Gewalt in der Begegnung und bringen das unserem Nachwuchs bei. Andere bringen ihren Jungs bei, stark, tapfer und kampfesmutig zu sein. Die Ausgangssituation ist einfach ungleich. Wir sind in unseren Breiten auf
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