Neukölln ist überall (German Edition)
Einwanderungsland wie Deutschland konsequenterweise auch seine Regeln an die Einwanderer anpassen müsse. An dieser Stelle gab es immer eine klare Zäsur. Übrigens interessanterweise völlig unabhängig vom Lebensalter des Auditoriums. Das sahen 1000 Studenten in einem Hörsaal genauso wie 1000 Wirtschaftsfachleute bei der Tagung in einem Luxushotel. Es scheint zu dieser Frage einen ganz breiten Konsens zu geben, dass nun einmal der Schwanz nicht mit dem Hund wedelt. Übersetzt auf die Einwanderung, lautet die Botschaft: Integration hat etwas mit Anpassung zu tun und muss vom Willen und der Bereitschaft des Hinzukommenden ausgehen. Warum man die Mütze der Integration aber auf den Kopf von jemandem setzen muss, dessen Eltern oder Großeltern bereits im Land geboren sind, bleibt an dieser Stelle erst einmal offen.
In diesem Zusammenhang interessiert auch, wie denn die Bevölkerung insgesamt zur Einwanderung steht und ob sie sie positiv oder negativ beurteilt. Ich habe mit Erstaunen eine europäische Studie hierzu registriert, der zufolge lediglich 44 % der Bevölkerung bei uns in der Einwanderung eher ein Problem als eine Chance sehen. Also, mehr als die Hälfte der Bevölkerung empfindet die Einwanderung als überwiegend positiv. Wir stehen damit im Übrigen an drittbester Stelle nach Kanada und Frankreich. Das Schlusslicht bildet – man höre und staune – Großbritannien. Hier bewerten 66 % die Einwanderung eher als ein Problem. Und wie schätzen die Deutschen selbst ihre Integrationsbereitschaft ein? Auf die Frage, was das größte Hindernis für die Integration darstellt, lautete in 60 % der Fälle die Antwort: »Das Desinteresse der Einwanderer« und nur in 27 % »Eine ablehnende Haltung der Gesellschaft«. Eine negative Stimmung in ihrer Gesellschaft sehen im Übrigen am stärksten die Franzosen und die Italiener.
Zur Frage des vermuteten Desinteresses schließt sich eine andere Studie zum Thema »Leben und Arbeiten in Deutschland« an. Befragt wurden ausschließlich türkischstämmige Einwanderer. Hieraus möchte ich nur drei Aspekte vortragen. Den mit dem höchsten Unterhaltungswert zuerst. »Wenn ich in Deutschland im Falle der Arbeitslosigkeit keine Sozialleistungen bekommen würde, würde ich sofort in die Türkei gehen.« Dieser Aussage stimmen 31 % der Befragten zu. Aha, jetzt ist es ja raus, denken Sie? Keine Sozialknatter, also dann auch kein Deutschland mehr. Ich finde diesen Wert überhaupt nicht aufregend. Erstens sehen fast 70 % das anders, und zweitens halte ich die Antwort auch nicht für schlüssig. In der Türkei gibt es gar kein Sozialsystem. Also, welchen Vorteil außer dem Unterstützungspotential der Familie bringt die Rückreise? Dass man dort schneller einen neuen und besseren Job findet? Auch das halte ich bei einer Arbeitslosenrate von rund 10 % in der Türkei eher für schwierig. Ich glaube, da werden einige wohl doch noch einmal überlegen.
Zwei weitere Feststellungen wurden den Befragten ebenfalls vorgelegt: »Ich möchte unbedingt und ohne Abstriche zur deutschen Gesellschaft dazugehören«, sagten 59 %, und »Ich möchte mich unbedingt und ohne Abstriche in die deutsche Gesellschaft integrieren«, meinten 70 %. Stellt man alle drei Aspekte nebeneinander, dann sieht es gar nicht ganz so düster mit dem Integrationsbild aus. Und zum Schluss gibt es sogar noch ein ganz dickes Lob. 77 % stimmten der Aussage zu: »Deutschland ist ein weltoffenes Land, in dem es jeder unabhängig von der Herkunft zu etwas bringen kann.« Na also, geht doch, könnte man schmunzelnd murmeln. Aber gerade diese Studie war eine von denjenigen, die bei mir unter der Flagge segeln, »nett zu wissen, aber ein Haus würde ich auf diesem Fundament nicht bauen«.
Ein Gespräch, ein Thema,
zwei Sichtweisen
Natürlich kann man ein Buch über Einwanderung, Integration, Einheimische und Zugewanderte, bildungsferne wie bildungsaffine Bevölkerung schreiben und ihn dabei keines Blickes würdigen. Aber warum kneifen? Ich meine Thilo Sarrazin, den Aufreger der letzten Jahre in dieser Themenwelt. Wir alle erinnern uns an seine Thesen über den Nutzen von warmen Pullovern anstelle eines Heizkörpers, wenn es in der Wohnung kalt ist, oder auch seine klugen Ratschläge für Arme, wie sie ihr Mittagessen kochen sollten. Nach dem Vorlauf des Interviews in der Zeitschrift Lettre International sorgte er dann mit seinem Buch Deutschland schafft sich ab für Furore. Selbst der Regierende
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