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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Hilfe mehr erwarten«, lautet die Ansage. Das bedeutet, Schnitt bei den Sozialleistungen. Ansonsten war es schon erstaunlich, welche Anstrengungen die Stadt unternimmt, um schwierige Jugendliche an ein geregeltes Arbeitsleben heranzuführen. Es wurde für diese jungen Leute extra das Berufsbild eines Logistikassistenten im Hafenbereich geschaffen mit einem Nettolohn von 1700 Euro. In Rotterdam wurden zwei Mittelklasserestaurants gegründet, in denen junge Leute in Service und Küche ausgebildet werden. Die professionellen Betriebe rekrutieren dann dort ihren Nachwuchs. Beide Restaurants haben wir ausprobiert. Ich war beeindruckt.
    Im Rahmen von Intercultural Cities haben wir dann die Stadt Tilburg, ebenfalls in den Niederlanden, besucht. Hier trafen wir im Wesentlichen auf die gleichen Interventionsstrukturen. Nur der Repressionsteil war erheblich ausgedünnter als in Rotterdam. Als ich den Bürgermeister nach diesem Unterschied fragte, hatte er eine sympathische Antwort: »Wir sind eine sozialdemokratische Stadt, so etwas wie in Rotterdam geht bei uns gar nicht.« Aber was in Tilburg ging, war auch nicht schlecht. Seit 2002 gibt es ein »Safety House«, dem 2008 das »Care House« an die Seite gestellt wurde. Das Safety House wurde von der Stadt Tilburg, der Polizei und der Staatsanwaltschaft gegründet. Dort arbeiten Mitarbeiter des Amtes für häusliche Gewalt, der Betreuungsstelle für jugendliche Straftäter, der Opferbetreuungsstelle, der Familienhilfe und der Bezirksstaatsanwaltschaft, die dort eine Außenstelle betreibt, fest zusammen. Hinzu kommen je nach Einzelfall weitere 20 Kooperationspartner vom Kinderschutz bis zur Polizei.
    Das Care House konzentriert sich auf die Betreuung von Erwachsenen und Familien im sozialen Bereich. Es geht um die staatliche Fürsorge für problembelastete Familien genauso wie um den Umgang mit jugendlichen Straftätern und Aktionen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung. Die Zielgruppen für beide Häuser sind identisch. Jugendliche, Intensivtäter, häusliche Gewalt, Multiproblemfamilien, aber witzigerweise auch Steuerhinterzieher. Das gemeinsame Motto lautet: »Eine Familie – ein Plan«.
    Natürlich ist die vernetzte Arbeitsweise hier ebenfalls nur möglich, wenn es einen unmittelbaren Datenfluss zwischen allen Beteiligten gibt. Da der Fokus in Tilburg stärker als in Rotterdam auf der Kriminalität liegt, steht am Anfang meist ein Polizeibericht. Dann wird jeder Einzelfall mit allen beteiligten Institutionen besprochen und gemeinsam der Aktionsplan festgelegt. Je nach »Bekanntheitsgrad« der Person kann am Beginn das Gespräch mit dem Sozialarbeiter oder auch die Vorladung noch für den gleichen Tag zum Staatsanwalt stehen. Ungewöhnlich ist sicher die sogenannte Morgenrunde, in der die Polizeiberichte der vergangenen Nacht ausgewertet und besprochen werden. Es kann durchaus sein, dass jemand bereits am Mittag nach seinem nächtlichen Auftritt den Konsequenzen im Safety House ins Auge blickt.
    Die Ergebnisse der Arbeit können sich sehen lassen. Die Rückfallquote hat sich halbiert, und die Zahl der jugendlichen Angeklagten hat sich massiv verringert. Tilburg ist keine Schlafstadt. Es wird dort durchschnittlich jeden Tag ein Intensivtäter festgenommen, von dem man je nach Jahr zwischen 300 und 400 Exemplare im Angebot hat. Weit über 1000 Fälle von häuslicher Gewalt werden pro Jahr registriert.
    Beide Städte vermittelten den Eindruck, dass man in den Niederlanden sehr bemüht ist, ein an den Sicherheitsbedürfnissen der Bürger orientiertes öffentliches Leben zu gestalten. Nach den Erfahrungen zwischen 2000 und 2005 konzentriert man sich darauf, Unruhen vorzubeugen, ohne Vielfalt und Offenheit aufzugeben. Die unaufgeregte Akzeptanz von staatlicher Repression mag einige bei uns mit Abscheu erfüllen. Doch der Schnellschluss trügt. Der Schwerpunkt der niederländischen Integrationspolitik liegt ohne Zweifel auf der Prävention. Es gibt eine starke Hinwendung zu den Einwanderern. Allerdings wird auch stets erwartet, dass jeder seinen Teil zum Gelingen des Unternehmens beiträgt. Der Repressionskatalog gilt lediglich für Unbelehrbare und Verweigerer. Wie erwähnt, ist seine pädagogische Wirkung deshalb so beachtlich, weil kein Zweifel daran besteht, dass die Sanktionen im Ernstfall auch angewendet werden.
    Insbesondere die Erfolge der Rechtspopulisten haben die etablierte Politik in den Niederlanden aufgerüttelt. Das Sicherheitsbedürfnis der niederländischen

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