Neukölln ist überall (German Edition)
Safer Schools Officer, zugeordnet. Er besucht die Schule regelmäßig und hat Einblick in alle Schuldaten. Schulschwänzer werden vom ihm zu Hause aufgesucht, und die Schulleitung wendet sich mit ihren Problemen direkt an ihn. Der Datenaustausch zwischen der Schule, der Polizei und dem Jugendamt ist gesetzlich geregelt. Dies dient insbesondere dem Umgang mit problematischen Schülern. Alle sechs Wochen treffen sich Vertreter der beteiligten Organisationen, beraten die Einzelfälle und vereinbaren Strategien im Umgang mit den Familien. Das heißt also, in die Einzelfallarbeit des Jugendamtes sind sowohl die Schule als auch die Polizei direkt involviert. Das ist eine Form von Zusammenarbeit, die es bei uns so nicht gibt. Realität bei uns ist vielmehr, dass durch den Datenschutz die Informationen so gegeneinander abgeschottet werden, dass niemand mehr weiß, was der andere macht. Ich erinnere nur an die vier Intensivtäter an einer Schule.
Insgesamt machten wir auch in London die Feststellung, dass Schulen erheblich freier über ihre Ressourcen verfügen können, als es bei uns üblich ist. Sie sind viel unabhängiger in ihren Personalentscheidungen, können sich von ungeeigneten Lehrern (rein theoretischer Fall, ist in der Praxis wohl ausgeschlossen) trennen und sich direkt von der Hochschule junge und agile Lehrer holen, die Lust haben, sich in einem sozialen Brennpunkt auszuprobieren. Wir waren zu Gast in einer Schule in einem besonders schwierigen Gebiet. Die Schüler und die Jugendkriminalität bereiteten den Lehrkräften einiges Kopfzerbrechen. Doch durch diese Selbständigkeit gelang es dem Rektor, die Schule völlig neu aufzustellen. Er konnte damit die bereits beschlossene Schließung abwehren und seine Schule auf einen erfolgreichen Kurs zurückführen. Die Geschichte ähnelt sehr den Erfahrungen mit der Neuköllner Albert-Schweitzer-Schule, dazu später.
Bei unseren Exkursionen zu den sozialen Brennpunkten Londons hatten wir einige markante Erlebnisse. So besuchten wir etwa ein Nachbarschaftsheim für die chinesische und pakistanische Einwohnerschaft der Gegend. Die Vielfalt der Menschen dort war beeindruckend. Allerdings waren sie strikt ethnisch getrennt. Zusammen machte man nicht viel bis gar nichts. In der Diskussion wurde eine Chinesin gefragt, wie sie sich denn fühle, als Britin oder als Chinesin? Sie antwortete: »Halb, halb.« Auf die weitere Frage, was denn der britische Teil in ihrem Empfinden sei, antwortete sie: »England kümmert sich so gut um mich.« Sie sehen, auch hier reduziert sich die Integration auf die Wohlstandsversorgung.
Ansonsten war in London die weite soziale Schere und die extreme Diskrepanz der Lebenswelten – hier die im Sonnenlicht an der Themse joggenden Broker, die nach der Mittagspause erst einmal eine heiße Dusche in ihrem Büro nehmen, dort etwa der Wochenmarkt in Whitechapel, der eher nach Kabul gepasst hätte – unübersehbar. Das abschließende Treffen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Botschaft mit Geschichten aus ihrem privaten Alltag rundete für uns das Bild des Londoner Lebens ab.
Ich will an dieser Stelle einige Zeilen einer unvergessenen Freundin, der Jugendrichterin Kirsten Heisig, widmen. Sie war bekennender Fußballfan, und es war die Zeit der Fußball-Europameisterschaft. An einem Abend spielte die deutsche Mannschaft. Ein Pub mit Fernseher musste her. Nach längerem Suchen fanden wir auch einen, und dann geschah Wundersames. Die zierliche Kirsten Heisig stellte sich mitten in den Pub und erklärte den Bier trinkenden Londonern, dass wir eine überaus nette und wichtige Reisegruppe aus Deutschland seien und jetzt hier das Spiel der deutschen Nationalmannschaft verfolgen müssten. Sie bat die übrigen Gäste, die Plätze vor dem Fernseher freizumachen und das Gerät auf einen deutschsprachigen Kanal umzustellen. So geschah es dann auch. Ohne Widerspruch, ohne Protest. So war diese Frau, ein Energiebündel pur.
Die beiden Exkursionen nach Rotterdam und nach London waren inhaltlich die ergiebigsten und für meine integrationspolitischen Gedanken die inspirierendsten. Dies spiegelte sich auch in der Presseberichterstattung wider. Als ich mich öffentlich zu der Frage äußerte, ob nicht unsere Polizei in Berlin über den Aspekt der Gefahrenabwehr und der Kriminalitätsbekämpfung hinaus ebenfalls einen stärkeren Fokus auf Nachbarschaftskontakte und Stimmungsaufnahme auf informellen Berührungsebenen legen könnte, um so auch zum
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