Neukölln ist überall (German Edition)
Stadtverwaltung von Neapel sieht sich keineswegs in der Verantwortung, diese Probleme zu lösen. Der Islam war bei unseren Gesprächen kein Thema. Hier scheinen Gegenstaat und originärer Staat eine Einheit zu bilden, wie auch der starke Katholizismus keinen Raum für die Ausbreitung einer anderen Religion lässt.
Neapel war für uns aus der engen Sicht der Integrationspolitik nicht besonders ergiebig. Allerdings haben wir recht plastisch vor Augen geführt bekommen, wie sich eine Stadtverwaltung auch mit Gegebenheiten einrichten kann, die aus unserer Sicht einen dringenden Handlungsbedarf auslösen müssten. Aber eben nicht in Italien. Die lebensbejahende Einstellung der Italiener relativiert jedes Chaos. Das Leben ist zu schön und zu kurz, um sich mit irgendetwas Schlechtem zu belasten. Gemessen an Wirtschaftsdaten und Arbeitslosigkeit, müsste es jedem Neapolitaner ziemlich dreckig gehen. Das Stadtbild spricht eine andere Sprache.
Ich möchte meinen Bericht über unsere Erfahrungen im Ausland mit einer Anekdote schließen, die sich bei der Oberbürgermeisterin von Neapel zugetragen hat. Das Gespräch fand, wie es sich gehört, in einem großen, prächtigen Festsaal statt. Bei der Bezeichnung der Epoche habe ich Wissenslücken. Irgendwann im Gespräch bewegten wir Themen der großen Linie wie Sozialsysteme, Verantwortung des Staates, Auffangnetz der Gesellschaft, Schutz des Einzelnen vor existenzieller Bedrohung, Würde des Menschen und Solidarität mit den Schwachen. Als ich das deutsche Sozialsystem nur sehr oberflächlich referierte, kam Bewegung in den hinteren Teil des Saales. Dort stand der Chef der Saaldiener. Nachdem der offizielle Teil der Veranstaltung beendet war, kam er auf dem Flur zu uns. Er fragte ernsthaft, ob wir ihn nicht nach Deutschland mitnehmen könnten. Die Unterstützungsbeträge des deutschen Sozialsystems würden sein Gehalt bei der Oberbürgermeisterin mehr als deutlich übersteigen.
Wir rieten ihm, die Vorzüge und die Schönheit Neapels zu genießen.
Kein Besuch verlief wie der andere. Die Vielfalt der Mentalitäten, der Lebensstile und der Politikphilosophien spiegelt sich im Umgang mit der Einwanderung wider. Trotzdem gibt es einen roten Faden, den wir immer wieder entdecken konnten:
Wo es starke Migration gibt, gibt es auch kulturelle Reibungsverluste, soziale Verwerfungen und Bildungsprobleme. Das heißt, Einwanderung geht nicht schmerzlos.
Probleme mit kulturellen Unterschieden, Bildungs- und Zivilisationsrückständen sowie erhöhte Kriminalitätsraten sind nicht an bestimmte Ethnien oder eine bestimmte Herkunft gebunden. Das heißt, nicht der Geburtsort vom Großvater ist entscheidend, sondern der Wille und die Fähigkeit, sich an die herrschenden Lebensregeln anzupassen.
Der Islam nimmt bei der Integration keine fördernde Rolle ein. Er stärkt eher das Verharren in tradierten Verhaltensmustern. Extreme Frömmigkeit kann zur hohen Hürde auf dem Weg in die moderne und liberale Gesellschaft werden.
Das A und O aller Integrationsbemühungen sind ihre Konsequenz und eine für alle verständliche Nachvollziehbarkeit. Beliebigkeit und gesellschaftliche Ignoranz sind die Totengräber der Integration. Kulturelle Rabatte bedienen die Bequemlichkeit, anstatt die Akzeptanz der Normen herauszufordern.
Staatliche Stellen können nur erfolgreich wirken, wenn sie vernetzt arbeiten und ihre Tätigkeit aufeinander abstimmen (völlige Aufgabe der Versäulung). Planloser Aktionismus und alles verstehendes Pampern frönen nur dem Grundsatz: Viel hilft viel. Beiden fehlen der strategische Ansatz und die Nachhaltigkeit. Nur mit konzeptionellem Vorgehen behalten die staatlichen Stellen den Überblick und das Heft des Handelns in der Hand.
Gesellschaftliche Bemühungen und staatliche Angebote müssen bei Nichterfolg oder bei Verweigerungshaltung zu unmittelbaren Konsequenzen führen. Sanktionsloses Fehlverhalten verschlechtert die Situation um ein Vielfaches, weil es automatisch den Gewöhnungs- und Wiederholungsprozess auslöst. Das »Wenn-Dann«-Prinzip muss dem »Kannst du ruhig machen, passiert sowieso nix« offensiv gegenübergestellt werden.
• Integration gibt es nicht zum Nulltarif und nicht von der Stange. Die sich ständig wandelnden Verhältnisse erfordern immer wieder neue Denk- und Handlungsansätze. Statische Politikformeln führen zu verlorenen Stadtvierteln.
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