Neukölln ist überall (German Edition)
nahegebracht. Ich will Details überspringen und nur noch eine Programmfacette wiedergeben, die ich als bemerkenswert empfunden habe. Man berichtete uns, dass in jedem Hauseingang der Siedlung ein Bewohner als »Leiter« fungiert. Für seine Tätigkeit wurde er speziell ausgebildet. Diese Leiter wenden sich wiederum an die Bewohner und versuchen, sie für Seminare »Wie wollen wir zusammenleben?« zu gewinnen. Wenn es sie nicht gäbe, so sagte man uns, müsse die Polizei in jedem Aufgang ständig präsent sein. Allein in der von uns besuchten Siedlung gab es inzwischen 34 Hausleiter. Dies scheint mir ein deutliches Indiz dafür zu sein, dass auch in den Einwanderersiedlungen von Oslo das Konfliktpotential groß ist.
Es gibt in Oslo zehn Moscheen. Anders als bei uns erhält im Sinne der Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften jede muslimische Gemeinde Steuergelder zur Finanzierung ihrer Arbeit. Als »Dank« für die staatliche Fürsorge kooperieren die Moscheen mit der Stadtverwaltung so gut wie gar nicht. In Schulen sind keine Gebetsräume vorzufinden. Es gibt einen gemeinsamen Religionsunterricht für alle Schüler. Priester und Imame dürfen keinen Religionsunterricht geben. Eltern können beantragen, dass ihre Kinder an religiösen Aktivitäten nicht teilnehmen müssen.
Wie immer gab es zum Schluss das obligatorische Gespräch mit dem Bürgermeister. Seine Ansicht war, dass Oslo dort steht, wo Neukölln vor 15 Jahren war. In Berlin sind die deutlich sichtbaren Warnungen damals nicht ernst genommen worden. Zustimmend konnten wir nur den Rat geben, klüger zu sein, als wir es waren. Wir gaben den ergänzenden Tipp, von Anfang an die Ordnungsdienste in die Integrationspolitik zu involvieren und dem Entstehen von Anonymität schaffenden Parallelgesellschaften konzentriert entgegenzuwirken.
Der Bürgermeister bemängelte das zu langsame Vorangehen bei der Einbindung von Migranten in das ehrenamtliche Engagement der Bürger. Er bestätigte, dass auch in Oslo junge Migrantinnen gegenüber männlichen deutlich angepasstere Entwicklungsphasen zeigen und ihre Kompetenzen schneller und konsequenter nutzen. Die norwegische Sprache ist das gleiche Problem für die Einwanderer wie in anderen Ländern die englische, die niederländische und die deutsche. Auch in Oslo versucht man durch Hausbesuche, die Familien zu erreichen und sie zu bewegen, die Sprache zu erlernen. Das erinnerte mich recht stark an unsere Stadtteilmütter. In Norwegen heiraten die Menschen mit Migrationshintergrund ebenfalls vorzugsweise unter sich in der eigenen Ethnie.
Mein Gesamteindruck war, dass sich das politische Oslo in einer Phase der erkennenden Sensibilisierung befindet. Die Stadt ist dabei, sich den Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft zu stellen. Die deutlichen Werteverschiebungen im Vergleich zur norwegischen Lebensart konzentrieren sich bisher nur auf die Stadt Oslo. Wenn die Norweger die Probleme Oslos als Probleme Norwegens annehmen, dann können sie den bereits vorhandenen Integrationsproblemen einen anderen Verlauf geben, als wir es bei uns getan haben.
Der Name Neapel fällt immer, wenn die Medien über Flüchtlinge berichten, die das Mittelmeer Richtung Europa überquert haben. Aus diesem Grund hatten wir es als unser Ziel auserkoren.
Über die Grundzüge und Facetten der neapolitanischen Integrationspolitik ist schnell berichtet. Es gibt nämlich keine. Gleichwohl war die Stadt mit knapp einer Million registrierter Einwohner und einer Dunkelziffer an Illegalen, der selbst in der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, auch für uns ein markantes Erlebnis.
In Neapel herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit sprengt mit 50 % fast jede Vorstellung. So richtig scheint das Problem aber die staatlichen italienischen Stellen nicht zu erreichen. Es gibt keine Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit. Was vorhanden ist, sind kirchliche Initiativen, die versuchen, sich der jungen Leute anzunehmen und dafür ehrenamtliche Helfer zu gewinnen. So besuchten wir ein ehrenamtliches Jugendorchester, eine Ausbildungsstätte für Metallhandwerker und eine für Fremdenführer. Aber das ist eigentlich noch weniger als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Je länger man sich in Neapel aufhält, desto mehr steigt die Verwunderung. Man sieht niemanden in Sack und Asche verbiestert durch die Straßen ziehen. Das ist eher bei uns in Deutschland der Fall. In Neapel sind die Menschen lebensbejahend
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