Neukölln ist überall (German Edition)
http://www.coe.int/t/dg4/cultureheritage/culture/Cities/IntegrationspolitikNeuk%C3%B6lln_en.PDF
Der Demographiehammer
Ein Leben in Wohlstand wird in Deutschland in der Zukunft ohne die Integration der Einwandererkinder nicht möglich sein. Insofern ist Integrationspolitik nicht der Wettbewerb um den Mutter-Teresa-Preis, und es ist auch keine Almosenpolitik à la Brot für die Welt. Es geht schlicht und ergreifend um das Überleben unserer Gesellschaft auf dem heutigen Niveau. Das Humankapital unseres Landes liegt nicht an der Elbchaussee in Hamburg, in Dahlem-Dorf in Berlin oder am Starnberger See in Bayern. Es liegt vielmehr dort, wo es viele Kinder gibt. Also dort, wo die Geburtenraten hoch sind. Aber kümmern wir uns genug um diese Gebiete? Behandeln wir das Kapital, das es dort gibt, wie ein kostbares Gut, und legen wir es zinsbringend an? Oder gehen wir damit eher um wie mit den toxischen Papieren einer Bad Bank?
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige von Ihnen bei diesen Sätzen die Stirn gerunzelt haben. Es sind ja auch starke Worte. Deshalb will ich mich in diesem Kapitel mit der demographischen Entwicklung in Deutschland und ihren Auswirkungen auf die Stadtlagen beschäftigen. Im Übrigen kann man generell die Demographie nicht losgelöst vom Umbau der Bevölkerungsstruktur und den sich damit verschiebenden Geburtenraten betrachten.
Bevölkerungsprognosen, Geburtenraten, Reproduktionswerte, Wanderungssalden, Altersquotienten – solche Begriffe suggerieren nicht unbedingt eine spannende Lektüre. Das ist etwas für Feinschmecker. Der Normalmensch macht darum einen großen Bogen nach dem Motto »Damit sollen sich die Wissenschaftler herumplagen«. Einem Menschen wie mir, der aus seinen Erfahrungswerten und den Quellen des täglichen Lebens schöpft, geht das nicht anders. Ich würde mich auch gerne drücken. Es ist, glaube ich, nachvollziehbar, dass auf kommunaler Ebene, also auch auf der bezirklichen Ebene einer Großstadt, keine eigenen Erkenntnisse über die demographische Entwicklung des Landes geschöpft werden können. Wir leben von den Forschungen und Erkenntnissen der Demographen und ihren Prognosen. Das bedeutet natürlich, man bewegt sich immer auf dünnem Eis.
Wissenschaftler sind nicht immer einer Meinung – das ist auch bei der Demographie so. Mit ihren Forschungen und Expertisen können Demographen alles belegen, was ihrer Meinung entspricht, und widerlegen, was der Meinung eines Kollegen näherkommt. Auf wessen Seite schlägt sich nun ein Autor, der ein Kapitel mit Inhalten füllen will, für die er nicht selber geradestehen kann? Sollten Sie in diesem Kapitel auf Widersprüche stoßen, so kann ich nicht ausschließen, dass Sie recht haben. Ich habe mich aber bemüht, in Veröffentlichungen aufgetretene Streitebenen zu umschiffen und nur Daten zu verarbeiten, die unstreitig zu sein scheinen.
Es heißt, die Demographie sei eine sehr verlässliche Disziplin, weil sie eine »Wenn-Dann«-Wissenschaft ist. Das bedeutet: Wenn bestimmte Konstellationen eintreten, dann sind die Folgen verlässlich berechenbar. Die Demographen weisen immer wieder darauf hin, dass die Berechnungen der Vereinten Nationen für die Weltbevölkerung aus den 1950er Jahren für das Jahr 2000 lediglich eine Ungenauigkeitsabweichung von 1,5 % hatten. In Deutschland liegt die Trefferquote bei Vorausberechnungen für zehn Jahre bei unglaublichen 99,9 %. So behaupten es jedenfalls die Akteure. Die von mir im Folgenden wiedergegebenen Zahlen und Ableitungen beruhen auf Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung, des Statistischen Bundesamtes, der Bundeszentrale für politische Bildung und von Prof. Dr. Herwig Birg. Letzterer gehört zu den wohl bekanntesten deutschen Demographen und war von 2001 bis 2004 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie. Ich gehe davon aus, dass die veröffentlichten Daten belastbar sind.
Unstrittig ist, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland sinkt. Wir sind »Schrumpfgermanen«. In welchem Umfang dies allerdings geschehen wird und welche Auswirkungen damit verbunden sein werden, schon darüber herrscht keine Einigkeit. Während die einen die Katastrophe und das Zusammenbrechen unseres gesamten gesellschaftlichen Systems vorhersagen, plädieren andere für Gelassenheit, da sich in der Vergangenheit immer eine Lösung für zuvor unlösbar erscheinende Probleme gefunden habe – man könne ja nicht wissen, wie sich Wirtschaft und Produktivität entwickeln. Vielleicht
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