Neuland
einen Reiseführer herausbringen, der alle Toiletten auflistet und beschreibt, welche man einfach nicht betreten darf, wie etwa diese hier. Unter dem Titel Lonely Toilets – sagte sie und setzte sich auf ihren Platz zwischen uns. Ihr Hintern breitete sich fast bis zu mir aus. Der Schirm ihrer komischen Mütze streifte beinah meine Schulter. Dori lachte. Das erste Mal, dass ich ihn laut lachen hörte, seit wir die Suche nach seinem Vater begonnen haben. Ich fuhr los, und die beiden dachten sich Kategorien für ihren Reiseführer aus. »Places to pee« , » Off the beaten places to pee« . Ehrlich gesagt hat es mich ziemlich genervt, dieses Gringo-Geschwätz. Was hilft es, wenn die Toiletten, sagen wir in Paris, sauber sind, wenn die Leute beschissen sind?
Ist deine Familie aus Südamerika?, fragte ich sie, um das Thema zu wechseln. Nein, antwortete sie. Meine Familie ist aus Israel, und davor kamen sie aus der Türkei und aus Polen. Warum fragst du? Weil du … du hast so einen …, ich wollte ihr sagen, dass sie einen Körper hat wie unsere Frauen, birnenförmig, aber damit hab ich schon mal eine Je’ala aus Tel Aviv beleidigt. –
Energías. Du hast so südamerikanische energías , sagte ich.
I wish , sagte sie. Aber ich sah, das hat ihr gefallen. Das Telefon klingelte. Morales, einer meiner Leute, hatte die Tochter von den reichen Leuten aus Miraflores gefunden. Sie tanzte auf der Fiesta in Arequipa, dreihundert Kilometer von zu Hause entfernt, mit einer Stiermaske vor dem Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Jetzt wusste er nicht, was er machen sollte. Sie weitertanzen lassen? Ihr das Telefon geben, damit sie ihre Eltern anruft und beruhigt? Odersie packen, so wie sie war, und sie ins Auto zerren, bevor einer von den Betrunkenen auf der Fiesta sich über sie hermacht?
In Morales’ Stimme hörte ich, dass er sie so was von packen wollte. Sie mit Gewalt packen, dass ihr der Arm noch lange wehtat, für all die Erniedrigungen, die seine Mutter, eine einfache Frau aus dem Dorf, von diesen Reichen aus Miraflores hatte einstecken müssen, als sie da Putzfrau war. Wie ist denn das Wetter?, fragte ich ihn. Mucho calor , antwortete Morales. Dann warte, bis sie die Maske abnimmt. Sie ist ein verwöhntes Mädchen aus Miraflores, es wird ihr darunter schon bald zu heiß werden. Und dann mach ein Foto von ihr und schick es mir ins Büro, auf der Nordseite der Plaza gibt es ein Internetcafé, neben dem Waschsalon.
Aber Señor Alfredo …, versuchte Morales zu widersprechen.
Wir werden ihr Gesicht anschauen und dann entscheiden, unterbrach ich ihn.
Zwanzig Minuten später piepte der Computer, eine Mail war angekommen. Ich fragte Inbar, ob sie nach hinten ins Büro gehen und das Bild ausdrucken könne, das gleich auf dem Bildschirm erscheinen würde. Was für ein Büro? Sie kapierte nichts. Ich hatte es ihr absichtlich noch nicht gezeigt. Ich mag diesen Moment des Staunens, wenn sie den Schlüssel rumdrehen und die Verbindungstür aufgeht.
Wow – sie kam zurück und setzte sich etwas näher zu mir –, das sieht ja aus wie die Einsatzzentrale von CNN.
Ich schaute mir den Ausdruck an. Die Augen des verwöhnten Mädchens waren sauber. Keine Drogen. Ich sagte Morales, er solle warten, bis die Fiesta zu Ende sei, und dann zu ihr hingehn, ohne Aufsehen zu erregen. Schon gar nicht bei den Polizisten. Ich hatte vor fünf Jahren so einen Fall, erzählte ich ihm, ein junges Mädchen, das sich nach Arequipa abgesetzt hatte, und dieser idiotische comandante der Polizeistation dort hat sie eine Woche lang festgehalten, weil das die Regeln in diesem Bezirk seien.
Sag mal, Alfredo, sagte Inbar, nachdem ich das Telefonat beendet hatte, wie viele solche Suchen machst du parallel?
Ich hörte ihrer Stimme an, dass sie Respekt vor mir hatte.
Drei oder vier, manchmal sieben, kommt auf die Saison an, sagte ich und legte einen Arm ins offene Fenster.
Und wie viele Leute arbeiten gerade für dich?
Hundert. (In Wirklichkeit waren es nur halb so viel.)
In wieviel Ländern?
Mindestens acht.
Und wie entscheidest du, welchen Fall du persönlich betreust?
Ich schwieg. Plötzlich verstand ich, worauf sie rauswollte. Böses Mädchen.
Warum hast du dich entschieden – sie ließ nicht locker –, ausgerechnet Dori zu begleiten? Du hast doch viele andere zur Auswahl gehabt.
Dori
horchte auf. Bis zu dieser Frage hatte er versucht, Distanz zu ihrem Gespräch zu halten. Als Inbar die Idee mit den Lonely Toilets aufbrachte, hatte ihn das für
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