Neuland
Himbeersaft vor (war das lang!, dachte sie, man könnte es leicht um die Hälfte kürzen), und Der Löwe, der gern Erdbeeren aß. Danach hatte sie das große Licht ausgeschaltet, das kleine angemacht und sich auf das ausziehbare Bett neben ihn gelegt. Sie hatte seine kleine Hand gespürt, die sich unter dem Bettgitter hindurchtastete, hatte sie ergriffen und ihm auf Gibberish ein Lied vorgesungen, das auf einem brasilianischen Song beruhte, den sie aus dem Radio kannte, und danach Yehonatan Geffens Lied für Schira , das gerade neu eingespielt worden war, ich geb dir eine neue, gute Welt, schon mit dem blauen Blick entdeckst du sie und weißt, wie gut es ist, den halben Mond zu sehn, wie gelb er aus dem Dunkel zwinkert –
Und dann hatte sie gehört, wie sein Atem regelmäßig wurde, war noch ein, zwei Minuten liegen geblieben, um sicher zu sein, dass er wirklich eingeschlafen war. Und noch ein, zwei Minuten, um sicher zu sein, dass das wirklich passierte: Sie brachte ein Kind zu Bett und fand es schön.
Inbari!, rief ihr Vater jetzt freudig ins Telefon. Papa, antwortete sie zurückhaltend und sagte, sie wolle gern mit ihrem Bruder sprechen. In dem Moment, in dem Reuven Inbars Namen hörte, kam er schon angerannt und verlangte eindringlich den Hörer, und im nächsten Moment sprach er mit ihr, in seinem Gibberish mit stark australischem Akzent, und ihr Vater übersetzte.
Er fragt, wann er dich endlich wiedersieht.
Bald, oder?
Ja, wir kommen in zwei Wochen nach Israel. Tickets haben wir schon. Diesmal klappt es wirklich.
Schön.
Er sagt, er hat ein neues Spiel, das er dir zeigen will.
Toll. Sag ihm, dass ich mich nach ihm sehne.
Das war’s schon, sagte ihr Vater, jetzt ist er wieder Fernsehgucken gegangen, aber versteh, für seine Verhältnisse war das ein ausgesprochen langes Gespräch. Und wie ist das Wetter in Tel Aviv?
Ich bin nicht in Tel Aviv. Ich bin in Peru.
In Peru?
Ja … ich habe Mama in Deutschland besucht, und danach hatte ich das Gefühl … dass ich nicht zurückwill.
Und dann bist du einfach nach Peru gefahren? Prima.
Prima? Machst du dir keine Sorgen?
Nein, Kind, ich vertraue dir. Bloß, fahr auf keinen Fall per Autostopp, sonst muss ich noch Gadi losschicken, um dich zu suchen, okay?
Sie lächelte, wider Willen. Mit sechzehn hatte sie nach einem schlimmen Streit mit ihrer Mutter am Kühlschrank einen Zettel hinterlassen, sie sei unterwegs nach Eilat, per Autostopp. Da hatte ihr Vater seinen Freund Gadi aus Aschdod alarmiert, der sie tatsächlich an der Straße auflas, sie bis Eilat fuhr und sich erst als sie ankamen zu erkennen gab.
Dann sehen wir uns im Land, sagte er.
Wunderbar, sagte sie. Und glaubte ihm noch immer nicht.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, duschte sie ausgiebig, genoss das Wasser, das zur Abwechslung mal warm war, cremte sich mit einer Bodylotion ein, sprühte etwas Parfüm am Hals auf und schminkte sich leicht. Das tu ich für mich, sagte sie sich. Doch nicht für ihn. Ein Hoffmann hat mir gereicht.
Dann verließ sie ihr Zimmer und ging auf die Terrasse, in genau dem Moment, in dem auch Dori hinauskam. Als tickte ihre innere Uhr im selben Takt. Sie setzten sich unter einem Vordach aus Zelttuch auf zwei Korbstühle, etwas voneinander entfernt, aber nicht zu weit. Sie bemerkte, er hatte sich für sie rasiert. Der Geruch seines Aftershaves – anders als das von Ejtan – wehte ihr in die Nase undberührte ihre Zungenspitze. Die Luft um sie herum war milchig. Helle Wolken trieben niedrig am Himmel. Sie hatte das klare Gefühl, wenn es jetzt regnete, würden Tropfen Milch vom Himmel fallen.
Ein paar Minuten nachdem wir vom Flughafen in Nazca gestartet waren, erzählte sie ihm, und als das kleine Flugzeug über der Wüste stand, sagte der Pilot: Schauen Sie! Am Anfang habe ich gar nichts gesehen. Nur Sand. Doch dann erschienen sie langsam, diese Figuren: der Affe, die Spinne, der Astronaut, der übrigens eher aussieht wie ein frommer Jude aus Mea Sche’arim. Und plötzlich war mir klar, dass alle Erklärungen, die es für diese Linien gab, nicht stimmten. Es ging nur um das Wunder an sich. Jemand, vielleicht einer von ihren Schamanen, hatte nachts einen Traum, und als er aufwachte, hat er beschlossen, ihn zu zeichnen. Und zwar ganz groß. Und dann ist das sein Traum geworden: riesige Figuren in den Sand zu zeichnen. Dass er diese Zeichnungen niemals wird sehen können, weil man sie nur aus großer Höhe erkennt, erstaunt mich gar nicht. Das gehört dazu!
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