Neuland
Jeder macht seine Pause, wann er will. Sie rufen sich Dinge zu, quer durch den Saal. Und sie klatschen, wenn die Guten siegen.
Nervt das nicht?
Zuerst schon. Aber dann … ich weiß nicht … irgendwie hat es auch was … diese Vermischung von dem, was auf der Leinwand passiert, und dem, was im Saal passiert. Eine Art Grenzüberschreitung.
Wie in The Purple Rose of Cairo , nur umgekehrt.
Genau, sagte sie, mit einem anerkennenden Blick von der Seite.
Sie wendeten sich von dem Poster ab und gingen weiter. Nur der leere Ärmel des Mantels baumelte zwischen ihnen.
Vermutlich will sie keine Mitfahrgelegenheit, wenn sie bis jetzt noch nichts gesagt hat, dachte er.
Auch ich bin mit meinem Vater ins Kino gegangen, erzählte sie. Mit meiner Mutter ist er nicht gern gegangen. Er hat sich immer beschwert, sobald der Abspann beginne, habe sie ihren tödlichen Verriss schon fertig und müsse ihn unbedingt loswerden.
Meine Frau ist auch ein bisschen so, ging es ihm durch den Kopf, aber er fand es unpassend, etwas Negatives über Roni zu sagen.
Dieser Film ist garantiert genauso chauvinistisch wie der Rest der Serie, sagte sie und lachte ein paar Sekunden später: Hey, ich kling schon genau wie meine Mutter! Aber ich bin eine Generation fortschrittlicher! Ich hab den Verriss bereits fertig, bevor ich den Film sehe!
Sie gingen weiter. Ihm fiel auf, dass sie immer wieder an ihrem eignen Haar roch, und er fragte sich, ob es tatsächlich so wunderbar duftete. Es begann zu regnen, sie beeilten sich nicht und flohen auch nicht, um Schutz zu suchen, wie die Leute zu Hause, sondern sie gingen in aller Ruhe weiter, bis sie den Eingang des Hostels erreichten. Dort blieben sie stehen. Er war innerlich schon darauf gefasst, sich von ihr zu verabschieden; sie um seinen Mantel zu bitten und der Form halber E-Mail-Adressen auszutauschen –
Da fragte sie plötzlich: Bist du sicher, dass es Alfredo nicht stört, wenn ich mitkomme?
Alfredo
Warum nicht, hab ich gesagt, ein bisschen Frauengeruch bei uns in der Kabine ist doch nicht schlecht, denn, honestly , meine Nase hat schon genug von deinem Geruch, Mister Dori. Okay, great , sagte er so langsam, als wäre es ihm lieber gewesen, wenn ich ein Veto eingelegt hätte. Eine halbe Stunde später hab ich für sie schon die Erdnussflips aus meinem Versteck geholt.
Bamba! , rief sie, darauf hab ich jetzt so richtig Lust, nahm mir gleich die Packung aus der Hand, bot Dori etwas an, der aber ablehnte, und leerte dann alleine die ganze Tüte, und als sie fertig war, drehte sie sich zu mir und sagte, Alfredo, you are the best . Danach fragte sie: Ist das dein Beruf, Menschen fischen? Ein spannender Beruf. Wie bist du denn dazu gekommen? So hab ich ihr von dem Holländer erzählt und noch ein paar Details dazugestrickt; das passiert mir bei schönen Frauen immer. Eine Stunde wird zu drei Stunden eine Straßenlampe zum Stern und ein Tal zum Abgrund. Sie lauschte excelente , mit ihrem ganzen Körper, nicht nur mit den Ohren. Und auch Dori hörte mit, obwohl er so tat, als hörte er nicht hin. Jetzt sind wir schon zwei Wochen unterwegs, und er hat mich noch nichts gefragt. Er interessiert sich gar nicht für mich, als ob er mir böse sei. Und ich bin doch so sehr für ihn. Schon lang war ich nicht mehr so sehr für einen Kunden. Schon lang wollte ich nicht mehr so sehr einen Menschen lebend finden und nicht nur seine Leiche. Was hat der denn gegen mich?
Nach einer Stunde bat die Señorita, an einer Toilette anzuhalten. Das hat mich nicht gestört, sondern sogar gefreut. Dieser Dori, dem erscheint jeder Stop als Zeitverschwendung, dabei ist es genau das Gegenteil. Die wichtigsten Dinge passieren in den Pausen. Ich wusste auch, dass ich sie mir so ein bisschen anschauen konnte. Sie war in die Kabine geklettert, ohne dass ich viel von ihr gesehen hatte. Und jetzt, als sie zur Toilette ging und zurückkam, konnte ich sie ungeniert betrachten und entdeckte, dass sie exactamente mein Geschmack war. Schöne, volle Lippen. Große, offene Augen, honigfarben. Ein weiches, rundes Kinn. Wunderbare Wangen, Wangen machen mich geil, wenn sie sind wie bei ihr. Sie hatte auch einen erregenden Gang. Langsam, ein bisschen verwöhnt, aber aufrecht. Kann sein, dass die Gringos sagen würden, sie sei zu rundlich, und ihr einreden würden, sie solle nur noch Salat essen; in dieser Sache hab ich Gringos noch nie verstanden. Nein, wirklich, wo ist es aufregender? In der Ebene oder zwischen Hügeln und Tälern?
Man sollte
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