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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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es denn keine Augenblicke, in denen du … es auch genießt?
    Schon, sagte er, aber wenn ich an meinen Vater denke, dann vergeht es mir.
    Erzähl mir von so einem Moment, bat sie ihn, fuhr aber gleich in ihrem alten Inbar-Ton fort: Ich kling schon wie Dr. Adrian aus der Sendung, in der ich die Regieassistenz mache … gemacht habe.
    Er nickte höflich. Zu seiner Schande kannte er die Sendung, von der sie sprach, nicht. Aber das schien sie nicht zu enttäuschen, im Gegenteil.
    Also, sie blieb beharrlich, gab es das nie, dass du mal ganz im Moment gelebt hast?
    Er dachte überrascht: Jetzt. Mit dir. Jetzt ist so ein Moment.
    Und er sagte: In der Altstadt von Quito, nur eine Stunde nach der Landung, bin ich spazieren gegangen und hatte das Gefühl, dass ich schon einmal in dieser Stadt gewesen bin, in einem anderen Leben. Ist dir sowas schon mal passiert?

Inbar
    Ja, sagte sie, in Jerusalem. In Jerusalem hab ich mich immer sehr zu Hause gefühlt, obwohl ich keine Vergangenheit und auch keine Familie dort habe. Seit ich sechzehn war, bis vor zwei Jahren, bin ich jedes Jahr an meinem Geburtstag nach Jerusalem hinaufgepilgert und hab mir da einen schönen Tag gemacht.
    Allein?
    In Jerusalem hab ich mich nie einsam gefühlt; es war so ein Gefühl, als hülle die Stadt mich ein.
    Wie in dem Song von den –
    Red Hot Chili Peppers. The city she loves me. Genau so.
    Ich bin übrigens Jerusalemer.
    A-ha. Das erklärt einiges.
    Ja? Was zum Beispiel?
    Dass du ein bisschen komisch läufst, dass du ein bisschen zurückhaltend bist und so eine Ernsthaftigkeit ausstrahlst, auch wenn du versuchst, locker zu sein. Und dass ich mir vorstellen kann, wie du als Kind eine dunkle Jeans mit nach außen umgeschlagenem Saum getragen hast, den deine Mutter dir genäht hat, und dass unser Gespräch auf geradezu peinliche Art persönlich und direkt ist – dachte sie.
    Aber sie sagte: Dass dir jetzt nicht kalt ist, zum Beispiel.
    Das stimmt. Wenn du einmal nachts im Januar den Zionsplatz überquert hast, ficht dich nichts mehr an.
    Ein voll beladener Linienbus fuhr an ihnen vorbei, bremste ein wenig, für den Fall, dass sie einsteigen wollten, und dann hustete der Motor – genau wie der Bus hinauf auf den Carmel, dachte sie sich –, und er fuhr weiter.
    Wohin geht es jetzt?, fragte sie Dori. Ich meine, was ist die nächste Station eurer Suche?
    Der Titicacasee, sagte er seufzend, als wolle er gar nicht an die nächste Station denken. Das ist der Ort, wo mein Vater zuletzt gesehen wurde.

Nessia
    blieb mit gespielter Überraschung stehen: Ich glaub, ich spinn. Genau da wollte ich auch als Nächstes hin.
    Sie hieß Inbar schweigen, die schon anfing zu argumentieren: Das ist ja nicht zu fassen, nun komm schon, du kannst doch nicht jetzt nach Peru zurückfahren, wo du gerade erst hierhergekommen bist!
    Nessias Reisen hatten sie gelehrt, dass lügen manchmal bedeutete, eine tiefere Wahrheit auszusprechen. Denn wer wählte die eine Lüge aus all den andern möglichen Lügen aus? Sie tat das, und zwar aus ganz aufrichtigen Erwägungen.

Dori
    Dann komm doch mit uns mit, sagte er. Das heißt, die Worte schossen aus ihm heraus, bevor er sie stoppen konnte. Wenn du da sowieso hinwolltest.
    Inbar schwieg. Nicht sie, sondern jemand andere, schien diese Möglichkeit vorgeschlagen zu haben. Und plötzlich wirkte sie nachdenklich, weit weg, als sinne sie über etwas Erhabenes nach, und eine Minute später blieb sie vor einem hohen Gebäude stehen und sagte: Schau mal, da ist ein Kino. In der Gräberstadt gibt es ein Kino! Was die hier wohl zeigen?
    James Bond. Er wusste es, noch bevor sie nah genug an dem Schaukasten waren, in dem das Poster hing. Das 007 hatte er schon aus der Ferne erkannt.
    Mein Vater mag James Bond, sagte er, als sie näher traten. Das ist eins der Dinge, die wir zusammen gemacht haben, das heißt, korrigierte er sich sofort, die wir zusammen machen.
    (Ein Bild kam ihm in den Kopf: Er, als Jugendlicher, steht in der Pause in der Schlange, mit einem Fünfzig-Schekel-Schein in der Hand, den sein Vater ihm gegeben hat, und als er an der Reihe ist, kauft er eine Cola für sich, Sodawasser für seinen Vater und eine mittelgroße Tüte Popcorn für sie beide, denn, so hatte sein Vater ausgerechnet, da bekamen sie das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.)
    *
    In Cuzco hab ich im Kino Der Herr der Ringe gesehen, sagte sie. Das ist etwas völlig anderes als zu Hause. Die Leute gehn die ganze Zeitrein und raus, trinken und essen. Es gibt keine Pause.

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