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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Mossad-Agent, sondern –

Dori
    Ich suche meinen Vater, erzählte er ihr schließlich, ohne dass sie gefragt hatte.
    Davor hatten sie an einem Imbiss im Stadtzentrum eine schlechte Pizza gegessen, und sie hatte gesagt: Warum machen sie in der Zeitung immer diese Projekte »Der beste Humus« oder »Die beste Falafel«? Man müsste einen Test machen für die schlechtesten auf jedem Gebiet.
    Genauso der Lonely Planet , antwortete er zu seiner eigenen Überraschung schlagfertig, warum listen sie neben den schönsten Orten nicht auch die hässlichsten Orte auf?
    Places not to go , schlug sie als Überschrift vor.
    Eine Gruppe von Jugendlichen setzte sich an ihren Tisch. Man hörte die Hormone beinah brodeln. Links von ihnen saß eine Schar junger Mädchen, die sich in fließendem Spanisch laut unterhielten. Und zwischen den beiden Gruppen, auf zwei Stühlen, die früher mal weiß gewesen waren, sie beide. Wie eine Insel.
    Ist dir kalt?, fragte er, denn er bemerkte eine leichte Blässe auf ihren Wangen.
    Ein bisschen schon.
    Dann nimm meinen Mantel, sagte er und zog ihn aus.
    Und was ist mit dir?
    Ich bin schon okay.
    Seguro?
    Wie bitte?
    Das bedeutet »sicher« auf Spanisch. Seguro , dass dir nicht kalt ist?
    Ja, sicher.
    Sie legte sich den Mantel über die Schultern und ließ die leeren Ärmel baumeln.
    Die Oliven hier sind aber ganz passabel, meinst du nicht auch?, sagte sie einen Moment später mit ernstem Gesicht.
    Er lachte.
    Was denn? Ich meine das ernst. Stieß leicht an seinen Arm, lachte dann aber auch.
    Und dann, wie einer, der einen schweren Rucksack mit schmerzenden Schulterriemen abnimmt, begann er zu erzählen.

Nessia
    verliebte sich gleich in diesem Gespräch. Mitten in der »Chronologie der Suche nach dem Vater«, die er abgewogen Stück für Stück vor Inbar ausbreitete, wie ein Lehrer, der seinen Schülern etwas systematisch erklärt, gab es einen Moment, in dem er von seinem Sohn sprach. Neta heißt er. Morgen ist sein Geburtstag, sagte er und wandte den Blick zur Straße. Und ich bin hier. Ich bin hier … das geht einfach nicht. Das ist ein bisschen wie Digeridoo spielen, fügte er nach kurzer Pause hinzu, ich versuche, gleichzeitig auszuatmen und einzuatmen, meinem Vater gerecht zu werden und auch meinem Sohn –

Inbar
    hatte die Blässe seines Fingers an der Stelle seines Nichtrings durchaus bemerkt. Auch dass er tief in seinem Vatersein steckte und sich ganz und gar mit seiner Frau umhüllte. Schon dreimal hatte er ihren Namen explizit ausgesprochen. Männer, die flirten wollen, bauen wortreiche Umgehungsstraßen, um nicht beim Namen ihrer Frau vorbeizukommen.
    Da sagte sie sich: Ejtan.
    Und sie sagte sich: Das ist der Moment, wo man einen Punkt macht (immer gab es einen Moment, so glaubte sie, an dem es noch möglich war, einen Punkt zu machen).
    Und trotzdem erzählte sie von ihrem neuen Bruder, der sie auf dem Flughafen in Hongkong erwartet hatte, und sie kam sich dabei wie die Leute vor, die in der Redaktion von Alles bleibt in der Familie anriefen und ihre Geschichte etwas übertrieben, um in die Sendung zu kommen.
    Nach kurzem Schweigen sagte sie: Ich klinge vor mir selber nicht glaubwürdig.
    Und er sagte ihr ganz schlicht: Ich glaube dir.
    Danach stellte er eine erschreckend präzise Frage: Dieser Junge, Reuven, ist das der erste Sohn deines Vaters?
    Nein, ist er nicht, sagte sie, und sogleich: Gehn wir weiter. Sie mochte diese Geschichte jetzt nicht aufmachen, wollte aber gern noch einmal seinen Gang sehen, der sich, wie sie auf dem Weg zur Pizzeria bemerkt hatte, so sehr von seinem in sich gekehrten Sitzen unterschied: Er hatte einen fröhlichen Gang, wippend, beinah tanzend. Als spräche sein Körper zwei Sprachen.

Dori
    Wohin geht man in einer kleinen Grenzstadt am Ende der Welt, deren Name »Gräber« bedeutet?
    Hin und her. Hauptsache, man bleibt in Bewegung, dann ist die Hässlichkeit leichter zu ertragen, und man kann in seiner Blase weiterreden.
    Erst nachdem sie einige Minuten gegangen waren, merkte er, dass er auf Inbars linker Seite ging. Wenn er mit Roni ging, war er immer zu ihrer rechten. So konnte er seinen Arm besser um ihre Hüfte legen. Und jetzt, mit Inbar, plötzlich links. Ohne Hand um die Hüfte. Im Gegenteil. Er achtete darauf, sie nicht zu berühren, wie ein frommer Talmudstudent.
    Du kommst also aus Ecuador?, fragte sie. Und wie ist es da? Soll ja wunderschön sein.
    Möglich, sagte er.
    Mit ihrem Staunen zielte sie mitten in den Kern seines Selbstbetrugs: Gibt

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