Neuland
einen Moment entflammt, er hatte gelacht, doch das Feuer war schnell wieder verloschen. Dann hatte er wieder hinausgeschaut, sich die Berge angeguckt, war eingenickt. Er ließ die beiden reden. Um ehrlich zu sein, je länger die Fahrt dauerte, umso weniger gefiel ihm diese Inbar. Leute, deren Verhalten unter vier Augen sich zu sehr von ihrem Auftreten in einer Gruppe unterschied, hatten schon immer sein Misstrauen geweckt. Wie sie dauernd flirtete, das nervte ihn auch. Seine Roni, zum Beispiel, flirtete nie (zumindest wusste er nichts davon, schoss es ihm durch den Kopf). Sie hatte jedenfalls ihren eigenen Weg, und von dem wich sie nicht dauernd ab, nur um irgendwem zu gefallen. Von ihr hatte Neta diese Geradheit. Wenn eine Kindervorstellung interessant war, sagte er es. Und wenn da zu laut gekreischt wurde, sagte er es auch. Wenn Papas Bartstoppeln ihn störten, beschwerte er sich. Und wenn sein Papa ihn zu heftig umarmte, sagte er »genug«!
Alfredo zog weiter seine Show für Inbar ab, und Dori kam sich fremd vor. Ihnen dem Wesen nach fremd.
Das ist nicht mein Dreiergespann, dachte er und sang sich im Stillen »Das ist nicht unsre Party« von Ehud Banai vor. Sein Vater hatte es nicht gemocht, wenn er bei Autofahrten mit der Familie vor sich hin summte. Er hatte immer gesagt, man könne nicht gleichzeitig Radio und Radio-Dori hören. So hatte Dori gelernt, im Stillen zu summen. Seinen Lungen den Walkman aufzusetzen. Inbar befragte Alfredo zu allen möglichen technischen Einzelheiten. Das interessiert sie doch nicht wirklich, dachte Dori. Sie hat nur Angst vor dem Schweigen.
Da fragte Inbar Alfredo plötzlich, warum er sich entschieden habe, ausgerechnet Dori auf seiner Suche zu begleiten.
Alfredo schwieg erst mal. Als überlege er, wie offen er mit ihr reden könne.
Ein großer Lastwagen fuhr an ihnen vorbei und wirbelte Federn durch die Luft.
Well? Dori drehte sich vom Fenster zu ihnen, verzichtete in diesem Moment darauf, den Anschein zu erwecken, dass er nichts mitbekomme.
Well, what? Was wollt ihr von mir? Alfredo sprach im Plural, schaute aber nur Dori an. Eine Erklärung? Einen Grund? Das genau ist euer Problem, das Problem von allen Intelligenten, weißt du.
Was ist das Problem?, fragte Dori.
Dass ihr die ganze Zeit nach Gründen sucht. Dass ihr versucht, die Welt nach Ursache und Wirkung, Wirkung und Ursache zu erfassen. Anstatt euch zum Beispiel die Nazca-Linien anzuschauen und einfach zu sagen: herrlich, traumhaft, erfindet ihr irgendwelchen Quatsch über Leute von einem anderen Planeten, die gekommen sind und sie gemalt haben. Hauptsache, ihr habt eine Begründung. Die wahren Gründe für unser Handeln können wirsowieso nicht verstehen, da muss man erst gar nicht mit anfangen. Da ist es schon besser zu tanzen.
Zu tanzen?
Tanzt du manchmal, Mister Dori?
Ja klar, hätte sein Freund Udi jetzt geantwortet, jede Woche reiß ich den ganzen Saal vom Club HaUman 17 auf.
Ehrlich gesagt, ich hab schon lang nicht mehr getanzt, sagte Dori kleinlaut (als seine Freunde noch wirklich seine Freunde waren, war er gern mit ihnen tanzen gegangen. Das erste Mal, dass Roni ihn tanzen sah, war auf der Semesterbeginn-Fete der Studentenvereinigung. An der Art, wie du getanzt hast, wusste ich, dass es toll wäre, mit dir zu schlafen, gestand sie ihm später, als sie schon offen miteinander redeten).
Wer tanzt, weiß, sagte Alfredo, und schaute wieder auf die Straße.
Weiß was?
Der weiß: Wer die Musik der Welt spielt, das sind die Götter. Wir können nur wählen, wie wir darauf tanzen.
Wie bitte?
Lassen wir das, Mister Dori. Keine Chance, dass du das verstehst. Aber du verstehst mich, nicht wahr, Señorita?
Inbar
erzählte Dori später, in der Nacht, von ihrem Flug über die Nazca-Linien.
Davor hatte sie vom Zimmer aus ihren Vater angerufen. Eigentlich hatte sie Ejtan anrufen wollen, aber plötzlich so eine Sehnsucht nach ihrem neuen Bruder verspürt und sich erinnert, wie er sie in der letzten Nacht im Hotel in Hongkong gebeten hatte, ihn zu Bett zu bringen.
Was bedeutet »zu Bett bringen«?, hatte sie verunsichert gefragt.
Ihm eine Geschichte vorzulesen und dich dann im Dunkel neben ihn zu legen und ihm etwas vorzusingen, beruhigte ihr Vater sie. Das ist alles.
Aber was für eine Geschichte soll ich ihm vorlesen?
Da hatte sich herausgestellt, dass der Junge am liebsten zum Klang eines hebräischen Kinderbuches einschlief. Er verstand die Worte nicht, aber die Sprachmelodie lullte ihn ein. Sie las ihm
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