Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
Gedanken unpassend.
    Na dann los, sagte Dori, dann sollen sie uns die Datei hierherschicken, in dein Büro.
    Der Besitzer des Hostels sagt, er könne das nicht machen. Das betreffe die Privatsphäre seiner Kunden. Auf Spanisch heißt das, er will Geld dafür. Aber das ist in Ordnung. Nach der nächsten Kurve schaut aus dem Fenster, da werdet ihr den Titicacasee sehen. Morgen früh überqueren wir die Grenze nach Bolivien. Wir nehmen ein Boot nach Isla del Sol, und dann werd ich die Sache mit der Datei schon regeln. Bueno?

Dori
    war als Erster im Boot und reichte Inbar die Hand. Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand und sprang über den Zwischenraum zwischen Mole und Boot, verlor beim Aufkommen beinah das Gleichgewicht, sank beinah an seine Brust, fand ihr Gleichgewicht dann aber doch alleine wieder. Neben ihnen lag eine Touristenfähre, die ebenfalls zur Sonneninsel fuhr. Alfredo hatte sie gewarnt, dass diese Fähre an allen möglichen Pseudo-Inseln haltmache, und deshalb privat ein Motorboot gemietet. Ihre Rucksäcke lagen im Heck des Bootes auf einem Haufen, und sie saßen am Bug. Es gab auch einen Rettungsring, und der Skipper mit gefurchter Stirn, der aussah wie ein Inkakönig, bat sie, sich die gelben Rettungswesten anzuziehen. Mit einem sanften Brummen des Motors fuhren sie los. Das Wasser war klar, die Sonne schillerte auf dem See, und die Berge mit den schneebedeckten Gipfeln gaben dem Ganzen einen weißen Rahmen. Als ihr Boot durch eine sehr schmale Enge fuhr, zwischen zwei winzigen, grünen Inseln hindurch, schaute Dori Inbar von der Seite an. Zu seiner Überraschung war sie nicht fassungslos vor Staunen. Dies ist der höchste See der Welt!, verkündete Alfredo, doch sie blieb gleichgültig. Zwei Tropfen Wasser spritzten vom Motor auf ihr Gesicht, jeder hing an einer Wimper.
    Gefällt dir der Titicacasee?, fragte Dori sie.
    Und sie wischte sich den Tropfen von der linken Wimper. Schön, sehr schön, nur …, und sie verstummte.
    Nur was?, fragte er laut, gegen den Motorlärm, schön, nur was?
    Die Wahrheit ist … ich will, dass du deinen Vater findest, schrie sie. Das ist mir gerade wichtiger als diese Landschaft.
    Er beugte sich zu ihr, seine Wange berührte für einen Moment ihr Haar, und flüsterte ihr dann ins Ohr: Das ist aber nicht gut, so wirst du nicht viel von deiner Reise haben.
    Es geht nicht um gut oder nicht gut, erwiderte sie, schaute ihm direkt in die Augen, wich aber auch ein wenig zurück – das ist, was ich fühle.
    Wie der letzte Fackelträger bei der Eröffnung der Olympiade, wenn er an der Spitze der Treppen angekommen ist und die Ölschale berührt – so wirkte ihr Satz auf ihn.
    *
    Er wollte aufstehen und sie umarmen, doch das Gleichgewicht des Bootes und des Lebens war empfindlich. So blieb er an seinem Platz, und um sich trotzdem mit einer Geste der Dankbarkeit zu revanchieren, erzählte er ihr: Mein Vater wird leicht seekrank. Das habe ich erst ziemlich spät gemerkt. Wir waren zusammen im Lunapark, und ich wollte mit ihm Achterbahn fahren, und er meinte, er könne nicht. Das hat mich sehr geärgert. Ich war mir sicher, er wollte nicht, er wollte lieber bei meiner Schwester bleiben. Es war mir unbegreiflich, dass es etwas gab, was er nicht konnte.
    Hat er dir das nicht erklärt?
    Er hat es versucht. Aber es war nicht seine Art … Schwächen zuzugeben. Der Mann bekam nach dem Jom-Kippur-Krieg einen Orden.
    Woher weißt du es dann, wer hat es dir verraten?
    Meine Mutter. Zum Schluss ist sie mit mir in die Achterbahn gestiegen, und nachdem wir diese Talfahrt, bei der alle kreischen, überstanden hatten, erzählte sie mir, dass er leicht seekrank werde.
    Wenn er so schnell seekrank wird, wie ist er dann mit dem Boot auf die Sonneninsel gekommen? Irgendwas passt hier nicht.
    Nur eine Sache passt hier nicht? Nichts passt hier zusammen!
    Vielleicht bringt uns ja die Datei auf dem Computer etwas Klarheit, sagte Inbar hoffnungsvoll.
    Dass sie im Plural sprach, war ihm angenehm und machte ihn gleichzeitig etwas verlegen, aber er unterdrückte den plötzlichen Drang, den Finger auszustrecken und den Tropfen See, der immer noch an ihrer rechten Wimper hing, abzupflücken.
    Eine steile Treppe führte von der Anlegebucht der Boote hinauf auf den Hügel zum bewohnten Teil der Insel. Sie hieß »Inka-Treppe« und bestand laut Lonely Planet aus tausenddreihundertsechsundneunzig Stufen, nach Alfredo aus tausendfünfhundert.
    In jedem Fall viel. Aber nichts zu machen. Sie kauften eine Flasche

Weitere Kostenlose Bücher