Neuland
unterging?
Sie hängte das Blatt auf und stieg mit weichen Knien die Treppe hinunter zum Schlafraum.
Der säuerliche Geruch schlug ihr stärker als sonst entgegen – sie hatte den Eindruck, dass in dieser Nacht zu dem Gemisch von Schweiß und Erbrochenem nun auch der Geruch der Angst hinzugekommen war. Sie wollte zu ihrer Koje gehen und das Bild ihres Vaters aus dem Koffer holen, doch auf dem Weg entschieden ihre Beine anders und brachten sie zu Fimas Koje.
Er hatte aus einem Laken eine Art Vorhang gemacht, der ihn von den anderen trennte, und so zog sie das Laken langsam zur Seite und sah ihn auf dem Rücken liegen (Natan schlief immer auf der Seite). Er schlief, Schweißtropfen standen auf seiner Glatze. Oder waren es Wassertropfen? Wenn sie sie probieren würde, wüsste sie es.
Sie zog sich die Schuhe aus und legte sich auf das schmale Stück der Koje, das sein Körper frei ließ. Er drehte sich im Schlaf auf die Seite und rollte sich etwas ein, um ihr Platz zu machen. Ihr Rücken lag an seinem Bauch, ihr Kopf an seiner Brust – sie spürte seinen Herzschlag schneller werden, und wie sein Blut langsam zu ihr hinströmte; kurz darauf begann seine Hand ihren Körper zu streicheln. In langen Bewegungen, die immer kühner wurden.
Nur arim nehmen . Sie nahm seinen Arm und legte ihn sich um die Hüfte. Nur umarmen.
Nur arim nehmen , wiederholte er. Als sie seinen Atem spürte, stellten sich ihre Nackenhaare auf.
Nessia
In der Regel mochte sie Männer, die ohne Kompass navigieren, die nicht zu viel nachdenken. Mit großen, rauen Händen. Männer, die im Rio Tuichi gewesen und zurückgekommen sind. Mit langen Beinen und einem breiten Rücken, frischem Schweiß und hellen Augen. Mutige Nomaden wie sie, mit mindestens zwei Pässen.
Das alles hatte Dori nicht –
Und trotzdem (vielleicht hatte sie bei ihm eine bestimmte Frequenz bemerkt, eine unterschwellige Wildheit) war sie es, die Inbars Kopf an seine Schulter gelehnt hatte. Absichtlich. Im Schlaf.
Inbar
wachte auf, verlegen und auch nicht verlegen. Entfernte sich langsam ein bisschen von Dori. Erst den Kopf, dann den Körper, einen Berührungspunkt nach dem anderen, bis auch die Hüften voneinander abrückten. Sie nahm die Mütze ab, fuhr sich mit der Hand kämmend durchs Haar. Schaute aus dem Fenster. Schüttelte sich nicht vorhandene Krümel von der Bluse. Führte ihre Hand an die Nase und spürte, dass Männergeruch an ihr haftete. Der Hauch eines Schuldgefühls zog über ihren Rücken. Das, was hier passierte, war Ejtan gegenüber nicht in Ordnung. »Vielleicht ist es gut, dass du nach Peru weitergefahren bist. Anscheinend ist es das, was du jetzt brauchst. Aber pass gut auf dich auf, ja?« So schön hatte er in seiner letzten Mail geschrieben. Und sie? Sie empfand nur den Hauch eines Schuldgefühls. War das alles, was sie für ihn fühlte? Keine Welle, gewiss kein Tsunami. Ein Schauer, der vorüberging und sich auflöste. Das sagt doch etwas aus, überlegte sie erschreckt, wenn du es als so angenehm empfindest, deinen Kopf an die Schulter eines anderen Mannes zu legen. Oder war es nur das Reisen, das sie irreführte und belog? Wo war sie überhaupt? Auf der Straße nach Haifa zumBeispiel, da konnte sie an jeder Stelle die Augen aufschlagen und wusste genau, wo sie war, wie viele Minuten und Sekunden sie noch von ihrem Zimmer entfernt war. Aber hier? Alfredo telefonierte, seine Stimme klang begeisterter als sonst. Sie versuchte, aus seinem schnellen Spanisch etwas zu verstehen. Computador , das ist Computer. Claro ist klar. Por qué ist warum. Hijo de puta ist hijo de puta .
Wake him up , sagte Alfredo, nachdem er das Gespräch beendet hatte, und machte eine Kopfbewegung zu Dori … Sie berührte seine traurige Schulter. – Aufwachen! (hätte sie seinen Kosenamen gewusst, sagen wir Dorele, sie hätte ihn jetzt verwendet). Sie streichelte ihn etwas stärker und versuchte noch immer, sanft zu sein. Schließlich schlug er die Augen auf. Völlig durcheinander fuhr er sich mit der Hand über die Wangen, über den Hals, streichelte sanft über die Stelle, an der vorher ihr Kopf gelegen hatte, und fragte – Was? Ist was passiert?
Good news, Mister Dori , sagte Alfredo und stellte den Salsa leiser.
Meine Leute haben das Hostel in Isla del Sol gefunden, in dem dein Vater übernachtet hat. Und nicht nur das. Er hat dort im Computer eine Datei hinterlassen.
Eine Datei?
Mit Dingen, die er geschrieben hat.
Plötzlich schreiben alle, dachte Inbar und fand den
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