Neuland
Sie haben ihn nicht nach Argentinien begleitet? Was für ein Paragraph im Vertrag? So ein Unsinn! Ja, ich hab Sie verstanden. Ich bespreche das morgen mit meinen Anwälten, und dann sehn wir ja, was die von diesem Paragraphen halten. Schön, dass Sie Kontaktleute in Argentinien haben; der Vertrag besagt aber, dass Sie ihn persönlich begleiten. Weiß Ze’ela davon? Ich werde dafür sorgen, dass sie es erfährt. Sagen Sie mir nicht you must understand . Sie haben meinen Mann allein gelassen, statt ihn zu begleiten. Was gibt es hier to understand ? With a friend? Was für einem friend ? In unseren Gesprächen hat er keinen friend erwähnt. Ein Israeli? Was hilft ihm der? Der ist genauso fremd wie er. Also, wenn Sie Kontakt mit Dori haben, dann sagen Sie ihm, dass wir ihn suchen, zu Hause. Sein Sohn will mit ihm reden, okay? Und wegen des Paragraphen: Meine Anwälte werden Sie morgen kontaktieren.
Papa kann jetzt nicht reden, sagt sie zu Neta und schlägt sofort vor, noch bevor das Weinen ausbricht, auf den Spielplatz zu gehen. Er macht noch immer ein langes Gesicht, und sie schiebt nach: Mit deinem neuen Roller? Jetzt keimt schon ein kleines Lächeln. Zwei Tage zuvor hatte sie im Einkaufszentrum Malcha den Roller gekauft und ihm gesagt, Papa habe ihm den von unterwegs geschickt. Ich muss Dori das erzählen, bevor Neta mit ihm redet, denkt sie jetzt. Ich muss den Rucksack für den Spielplatz packen. Wasserflasche, Kleider zum Wechseln, falls er in die Hose macht. In den letzten zwei Wochen hatte er einen Rückfall. Warum bloß? Sie muss ihre Mutter anrufen und für Mittwoch bestellen, damitsie um fünf zur Direktoriumssitzung kann, und sie muss ihr davon erzählen. Und die Waschmaschine anstellen, bevor sie aus dem Haus geht. Was machen eigentlich Leute mit zwei Kindern? Zwei Kinder?! Wie kommst du denn darauf? Wenn sie zwei Kinder hätten, würde sich das Ganze vielleicht endlich wie Familie anfühlen und nicht wie ein Dreieck ohne Basislinie. Außerdem muss man noch ein Kind machen, damit Neta nicht alleine ist. Sie muss und muss und muss und muss und könnte vor lauter müssen schreien. Das tut sie manchmal. Sie fährt bei der Arbeit aufs Dach, lehnt sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Geländer und tut einen langen, befreienden Schrei. Auch gestern hat sie es versucht, aber keinen Ton rausbekommen. Einige Minuten hat sie da zwischen den riesigen Pflanzentöpfen gestanden und gewartet, ob es von innen kommt, von alleine, und ist schließlich wieder ins Büro gegangen, weil ihre Pause schon um war und sie zurückmusste. Wieder müssen. Erst als Neta auf der Schaukel sitzt, wird der Kopf so weit frei, dass sie beim Anschubsen über das Gespräch mit Alfredo nachdenken kann. Nachdenken ist nicht das richtige Wort, Eltern denken nicht nach. Sie haben nur Zeit für kurze Gedankenfetzen, die sich nicht zu einer wirklichen Erkenntnis zusammenfügen. Dori ist allein gefahren, mit einem Freund, und er hat nicht angerufen. Was für ein Freund? Friend kann auch eine Freundin sein. Aber das passt nicht zu Dori. Und wenn ja, wäre es dann ein big deal? Ja, es wäre ein big deal. Nein, wäre es nicht. Wer im Kibbuz aufgewachsen ist, kann nicht denken, dass sowas ein big deal ist. Da hat doch jeder gewusst, dass mein Vater die Mutter von Nati Ganot fickt, die auch schon mit dem Vater vom kleinen Arele gefickt hat, der, als alle bei der Schavuot -Feier waren, mit meiner Mutter hinterm Kuhstall gefickt und damit den Kreis geschlossen hat. Aber zu Dori passt das nicht. Und wenn doch? Ganz abgesehen davon zieht sich seine Reise schon zu lang hin für den Jungen. Hätte sie gewusst, dass die Reise so lang wird –
Quatsch. Auch wenn sie es gewusst hätte, sie hätte ihn ermutigt zu fahren. Ist ja immerhin sein Vater. Wer hätte das von Menigedacht. Immer so konzentriert, immer so unter Kontrolle. Hat immer eine höfliche Distanz zu ihr gehalten, aber die paar Male, wo sie wirklich geredet haben, hat sie ihn bewundert, wie scharfsinnig er geschäftliche Situationen analysiert. Und was ist jetzt mit ihm? Wenn Dori ihn nur endlich finden und von seiner Odyssee zurückkommen würde. Vor allem wegen Neta. Sie findet diesen Raum, der sich da auftut, eigentlich ganz gut. Es war nicht leicht mit Dori, seit seine Mutter gestorben ist. Die ganze Zeit hat er etwas von ihr erwartet, was sie ihm nicht hat geben können. Immerzu war er enttäuscht. Auch wenn sie jetzt telefonieren, spürt sie diese Erwartung. Deshalb war sie erleichtert, als
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