Neuland
ihn einfach klasse. Ohne Pult. Es ist so befreiend, wenn eine Frau dich klasse findet. Plötzlich wird dein Schritt leichter. Schon lang hat er sich mit einer Frau nicht mehr so leicht gefühlt.
Vielleicht hatte er sich im Grunde noch nie mit einer Frau so leicht gefühlt. In Filmen war die zweite Frau immer aufregender als die gesetzliche. Mit Inbar empfand er, merkwürdig, genau das Gegenteil: Dass er sich bei ihr ausruhen konnte, alles lief von alleine. Spannend war, dass sie eine eigene, geheime Welt hatte. Dass sie schrieb. Dass sie ab und zu ihr Heft aufschlug, ein paar Seiten vollschrieb und es wieder zumachte. Und während sie schrieb, war sie nicht zu stören. Erst danach wagte er es zu fragen: Ein Reisetagebuch? Und sie sagte: Nicht ganz. Ich will schon lange schreibenund mache nichts daraus, und plötzlich, auf dieser Reise, habe ich eine Figur geboren. Die schreibe ich jetzt. Keine Ahnung, ob etwas daraus wird, aber ich schreibe.
Einmal, in einer der Buspausen, hatte sie ihr Heft liegen gelassen, als sie zur Toilette ging, und er hätte beinah hineingeschaut.
Jetzt, im Flugzeug, küsste er sie wieder auf den Kopf, so wie man ein kleines Mädchen küsst, und sagte sich: Das ist in Ordnung, du küsst ja nur ihren Kopf. Danach streichelte er ihr Haar und sagte sich: Das ist in Ordnung, du streichelst ja nur ihr Haar. Dann streichelte er weiter, langsam, in langen Bewegungen, ihren ganzen Arm bis zum Ellbogen und wieder zurück. Und er nahm eine ihrer Haarsträhnen und führte sie sich zur Nase, berauschte sich daran und sagte: Das ist in Ordnung, du berührst nur ihren Arm und riechst an ihrem Haar, und damit trittst du noch aus keiner Partei aus –
Die ganze Zeit atmete sie tief, wie im Schlaf, doch als sie aufwachte, beim Landeanflug, warf sie ihm einen anderen Blick zu, als habe sich in einem Teil ihres Bewusstseins, der nicht geschlafen hatte, etwas verändert. Dann holte sie ihr Heft aus dem Umschlag, den er ihr gekauft hatte, begann zu schreiben und verbarg mit der anderen Hand vor ihm, was sie schrieb.
Nessia
lehnt nichts von vornherein ab. Denn man bereut es öfter, »nein« gesagt zu haben, als »ja« gesagt zu haben.
Sie ist bereit zu glauben, dass Bäume eine Seele haben, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde, dass der Telefonanruf, den sie erwartet, kommen wird. Sie ist bereit, jemandem zu glauben, der sie schon mal angelogen hat, und auch an die Legende vom Wandernden Juden, der schon zweitausend Jahre lang umherzieht und nicht stirbt.
Aber in Bezug auf Sex in der Flugzeugtoilette, da hat sie doch Vorbehalte, zwar könnte man sich wohl zu zweit hineinzwängen, aber was würde mit den Leuten, die draußen Schlange standen, eine Blase hinter der andern?
Sie bevorzugt eine Waschmaschine (im Schleuderprogramm)
eine finnische Sauna (in Schweden),
die Farm des Barons Hirsch (im Jahr neunzehnhundertzwölf), zwischen den Heuballen im Abendlicht, sie trägt ein Kleid von Unsre kleine Farm , und Señor Dori, der letzte jüdische Gaucho, macht ihr langsam vorne die Knöpfe auf.
Inbar und Dori
Wollt ihr euch nicht erst etwas ausruhen?, fragte Victorcito, ein sehr verschrumpelter Mann, der mit seinem staunenden, geradezu erschreckten Gesicht aussah, als sei er eben erst nach Hause zurückgekehrt und habe entdeckt, dass man bei ihm eingebrochen hat. Nein, antworteten beide fast zeitgleich. Noch nicht einmal duschen? Victorcito riss die Augen noch weiter auf und meinte, Señor Alfredo hat Ihnen zwei Zimmer im Hilton Buenos Aires bestellt, auf seine Rechnung. Dori schaute zu Inbar. Brauchen wir nicht, sagte sie. Dann möchte ich Sie wenigstens ins Restaurant einladen. Alfredo schneidet mir die Eier ab, wenn ich sage, dass ich Sie nicht in das Restaurant gebracht habe. Und bis zur Provinz Santa Fe, in die Gegend der Farmen, ist es eine lange Fahrt.
Hören Sie, Amigo, sagte Dori, legte ihm die Hand auf die Schulter. Wir haben genug Zeit verloren. Ich möchte, dass Sie uns jetzt zu meinem Vater bringen, und wenn Ihnen das nicht passt, dann kommen wir da auch alleine hin.
No hay problema , Mister Dori, kein Problem, sagte Victorcito schnell und brachte sie zu seinem Wagen: einem weißen, etwas zerbeulten Fiat Punto, der ihn so sehr an den Punto erinnerte, den erund Roni in ihrer Studentenzeit hatten, dass er für einen Moment dachte, es sei womöglich dasselbe Auto, das auf verschlungenen Pfaden den Weg von Jerusalem bis hierher gefunden hatte.
Roni
Noch einen Kaffee. Noch einen. Sie hat
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