Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
Eltern lebten. Als ich zurückkehrte, haben sie nicht wissen wollen, was dort gewesen ist. Keiner hat es wissen wollen. Sie nicht, meine Freunde nicht, und auch nicht meine Frau, kein Wunder, dass sie überrascht waren, als ich eines Tages splitternackt in die Bibliothek gegangen bin und ein Buch von Kerouac bestellt habe. Die Bibliothekarin hat die Polizei gerufen, und noch in derselben Nacht haben sie mich weggesperrt. Ich war ein Jahr mit all den Verrückten zusammen, bis ich aus dem Nest geflohen bin. Bingefahren und gefahren und gestorben und wieder zum Leben auferstanden und hierhergekommen. Zum fließenden Wasser, zu der Stille und zu den natürlichen Substanzen, die mir geholfen haben. Was für Substanzen? Das geht dich nichts an. Aber sie haben auch deinem Vater geholfen. Tatsache ist, dass er nach drei Tagen aus seinem Bett aufgestanden ist und angefangen hat zu reden. Er hat geredet und ich habe zugehört. Nein, wir haben nicht hier im Restaurant gesessen, sondern bei mir zu Hause. Auf einen Schlag war bei ihm alles wieder da. In chronologischer Ordnung. Das ist bei vielen so. Er hat mir erzählt, was ’73 passiert ist. Stunde für Stunde. Ab dem Moment, wo man ihm mitteilte, dass er eingezogen sei, bis zum letzten Gefecht, die ganze Geschichte, die ihm da passiert ist. So saßen wir eine Woche lang zusammen. Er saß auf seinem Doktor Gav und hat erzählt. Ab und zu bekam er einen trockenen Hals, dann habe ich ihm Tee gebracht. Eine Woche lang hab ich nichts anderes gemacht, als ihm Tee gekocht und zugehört. Jeden, der am Tor klingelte, hab ich zurück auf den Fluss geschickt. Und wenn es mir zu schwer wurde – denn trotz allem hat jede Geschichte deines Vaters auch bei mir die Schmerzen wieder angeschaltet –, habe ich ihm gesagt, Mister Meni, jetzt gehe ich mich ein bisschen beruhigen mit meinem Leguanchen, und du schreibst inzwischen. Schreiben ist gut. Er hat zwei Hefte vollgeschrieben. Vielleicht mehr. Keine Ahnung, wo die sind. Er schrieb mit einem Tintenfüller, den er aus Israel mitgebracht hatte. Ja, genau. Braun mit einer schwarzen Spitze. Ich habe dir doch schon gesagt, ich weiß nicht, wo die Hefte sind. Bestimmt hat er sie mitgenommen. Möchtest du noch etwas Eistee? Du siehst nicht gut aus, Mister Dori, du bist bleich. Schau dich doch an, deine Hände zittern total. Ist das bei euch in der Familie so? Ich hoffe, du rennst jetzt nicht hier raus und fängst an rumzuschreien, MiGs, MiGs, he? Mensch, ich lache doch nur mit dir. Ich weiß, das ist echt nicht komisch. Das ist ein big fucking shock for you . Keine Ahnung, warum er euch nichts von dem Krieg erzählt hat. Das musst du ihn fragen. Ich würde sagen, du gehst jetzt schlafen; wir haben genug geredet für einen Tag. Jeder Mensch hateine begrenzte Menge von Wörtern, die er von den Göttern bekommt, die darf man nicht verschwenden, die Wörter, sonst hat man keine mehr, wenn man sie mal wirklich braucht. Deine Hütte ist schon fertig. Nummer drei. Das ist die Hütte, in der dein Vater geschlafen hat. Ich hoffe, das ist okay für dich.

Dori
    Sag, hat mein Vater meine Mutter erwähnt? Hat er dir etwas von ihr erzählt?
    Es ist ihr vierter Tag auf der Farm von El Loco, und der macht den Eindruck, als wolle er, dass sie bald wieder gehen. Aber er ist nicht bereit, ihnen zu sagen, wohin sein Vater weitergezogen ist. Und überhaupt, Doris Gespräche mit ihm hören sich ein bisschen an wie seine Telefongespräche mit Neta: Manchmal antwortet El Loco einfach nicht, und manchmal antwortet er viel zu ausführlich und kommt auf Nebenthemen, und plötzlich erinnert er sich daran, dass die Menge der Wörter, die die Götter jedem Menschen gegeben haben, begrenzt ist, und beginnt dann mitten im Satz zu schweigen.
    Auch auf Doris Frage nach seiner Mutter antwortet er zunächst nicht, streichelt nur das Leguanchen auf seiner Schulter. Und dann, nach langen Minuten des Schweigens – Dori hatte schon Zeit sich auszumalen, wie er ihn mit seiner lächerlichen Bandana erwürgt –, sagt er plötzlich, yeah, sure . Dein Vater hat gesagt, dass deine Mutter sein Schutzengel gewesen ist. Dass sie die Teilchen seines Puzzles neu zusammengesetzt hat, nach dem Krieg. Ihr habe er es zu verdanken, dass er all die Jahre durchgehalten hat. Und dass er erst nach ihrem Tod –
    Das Leguanchen klettert von El Locos Schulter, kriecht langsam seinen Arm hinunter und ruht sich in seinem Schoß aus.
    Manchmal denke ich, sagt er, wenn ich so jemanden in Willfordgehabt

Weitere Kostenlose Bücher