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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Internetcafé anzuhalten. Er muss die Mail seines Vaters mit eigenen Augen sehen. Er bezahlt, bekommt ein Kärtchen, macht [email protected] auf, gibt das Passwort netaaaaa ein, und vor ihm öffnet sich seine Mailbox. Unter dem Forward seiner Schwester ist eine E-Mail von Noya Green mit dem Betreff: Somebody saw your father.
    Hi Dori – schreibt Noya –, wie geht’s?
    Du wirst es nicht glauben. Wir sind hier in Baños, einer wunderschönen kleinen Stadt. Gestern Abend haben wir mit ein paar anderen Israelis an der Bar gesessen, und wie es so kam, habe ich einer der Frauen von dir erzählt (um die Wahrheit zu sagen, wir haben geklagt, dass es in Südamerika keine vernünftigen Kerle gibt, und ich habe gesagt, wenn man mal einen findet, dann ist er schon verheiratet. Aber egal. Tun wir so, als hätte ich das nicht geschrieben) –, jedenfalls, sie hat deinen Vater gesehen! D. h. ich habe ihr erzählt, dass du deinen Vater suchst, und habe das Foto rausgeholt, das wir kopiert haben, und sie sagte, er sei etwa im April im selben Hostel gewesen wie sie, auf der Sonneninsel in Bolivien, im Titicacasee. Er sei kaum aus seinem Zimmer rausgekommen. Sie hätten gedacht, dass er Deutscher sei, und Witze gerissen, er sei vielleicht ein Nazi, der sich vor dem Mossad versteckt, aber eines Tages hat sie gesehen, wie er auf dem Computer einen Text schrieb und dass die Buchstaben von rechts nach links gingen. Da ist sie zu ihm hingegangen und hat Schalom gesagt. Aber er hat ihr nicht geantwortet. Merkwürdig, nicht? Und in ihren letzten Tagen dort hat sie gesehen, wie er bei den alten Tempeln herumlief, mit sich selbst redete und etwas auf ein kleines graues Blöckchen notierte.
    Das war’s auch schon, das ist alles, was sie weiß. Ich hoffe, es hilft dir, ihn zu finden (vielleicht hast du ihn auch schon gefunden?). Und ich hoffe auch (insgeheim, in Klammern), dass wir uns vielleicht unterwegs noch mal treffen.
    Deine Noya.
    Schau an, bricht eine Stimme in ihm aus, deren Kraft beweist, wie lange sie zurückgehalten war, jetzt haben wir zwei Quellen, die darauf hinweisen, dass Vater lebt – und seine Mail an Ze’ela. Das ist schon eine ganze Menge, oder? Möchte er Verstecken spielen? Dann soll er mit sich selbst spielen. Zu Hause warten auf mich mein trauriger Sohn und eine Frau, die mir nicht in die Augen schaut, warum soll ich ihm also weiter hinterherjagen, mit diesen Kreuzschmerzen, die er mir vererbt hat. Soll er doch selber seine Freunde suchen. Aber das ist ein Problem, er hat ja nie Freunde gehabt, nur Klienten. Dann soll er sich selber suchen und Ruhe geben. Mir die Ruhe geben, ihn in Ruhe zu lassen. Titicacasee, was ist das jetzt wieder für eine Spinnerei? Ich höre auf. Ich fahr nach Hause. Ich kann mir schon das Bild vorstellen, das Neta für mich malen und Roni an die Wohnungstür kleben wird, und das warme Wasser in der Dusche.
    Er liest noch einmal Noyas Mail und bleibt an dem Satz hängen: »Sie ist zu ihm hingegangen und hat ihm Schalom gesagt. Aber er hat ihr nicht geantwortet. Merkwürdig, nicht?«
    Nein, Noya, antwortet er ihr im Stillen. Das ist überhaupt nicht merkwürdig. Als er ein Kind war, hatte auch er seinen Vater Dinge gefragt – sagen wir auf dem Rückweg von der Schule –, etwa, warum die Busse in Israel nicht zweistöckig seien wie in England, und vergeblich auf eine Antwort gewartet. Eine, zwei Minuten. Wie ein Hund. Wie kann es sein, dass einer seinem Kind nicht antwortet? Papa ist jetzt sehr beschäftigt wegen des Geschäftsaufbaus, hatte seine Mutter versucht zu übersetzen. Doch auch nach all den Jahren war das für Dori unverzeihlich. War er denn nicht beschäftigt, wenn er seinen Unterricht vorbereitete? Und trotzdem ist esunvorstellbar, dass Neta ihn etwas fragt und nicht auf der Stelle eine Antwort erhält. Und außerdem, wie kommt es, dass er Ze’ela immer geantwortet hat, ganz egal, womit er gerade beschäftigt war?
    Jetzt hör mal gut zu. Du schaltest jetzt den Computer aus, stehst auf und bittest Alfredo, dich zum Flughafen zu fahren. Verdammte Scheiße, Dori, genug damit, sagt er laut zu sich selbst und bleibt vor dem eingeschalteten Computer sitzen.
    Nach ein paar Minuten steht er auf. Er steigt in die Fahrerkabine, ohne Alfredo etwas zu sagen.
    Unter der Wut, er kann eben nicht anders, rumort noch immer große Sorge. Was bedeutet es, dass sein Vater »mit sich redet«?
    Unter der Sorge liegt noch viel tiefer, viel grundlegender, wie ein Instinkt, diese verdammte

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