Neuland
schwer und in langen Zügen, als versuche er, einen Zorn zu beruhigen. Dabei sah er gar nicht zornig aus, eher enttäuscht. Seine Hand lag in Mutters Schoß, und sein Hals glänzte von Schweiß, obwohl die Luft hier völlig trocken war. Meni, das ist schon in Ordnung, sagte seine Mutter, nahm die Brille ab und legte sie in ihren Schoß, was du entscheidest, ist für mich okay. Fahr, sagte er, und sie fragte: Bist du sicher? Und er nickte, doch sein Nicken erschien Dori zu langsam. Sie setzte die Brille wieder auf und ließ den Wagen an. Und dann sagte er: Moment, warte, und schwieg wieder, und dann: Jetzt sind schon zehn Jahre vergangen, ich hätte nicht gedacht, dass … mein Herz zerplatzt gleich. Er knöpfte sein Hemd auf, nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Brust.
Dori verstand nichts. Was passierte da? Er schaute zu Ze’ela; sie war die Große, sie musste es doch wissen. Doch aus Ze’elas Augen blickte der reine Schrecken.
Ich glaub, ich schaff das nicht, Nurik, sagte sein Vater schließlich. Komm, wir fahren zurück.
Versuch es doch wenigstens, wollte Dori ihn bitten. Wenigstens einen Versuch. Doch er hatte das Gefühl, als wären die Rücksitze und die Vordersitze jetzt durch eine durchsichtige Wand getrennt,und die ließe keine Wörter aus der Kinderwelt in die Welt der Erwachsenen dringen.
Sie kehrten um und nahmen ein Hotelzimmer in Eilat, mit Whirlpool.
Ze’ela war überglücklich, und Dori lief durch die verschiedenen Flügel des Hotels, sah andere junge Mädchen, aber keine hatte diesen verheißungsvollen Blick von Lital Aschkenasi, und er war sauer und sehr enttäuscht, und wegen seiner nervenden Schwester, die dauernd ohne Warnung ins Zimmer kam und wieder rausging, konnte er noch nicht einmal in Ruhe onanieren. Und auf der Stirn hatte er drei neue Pickel. Zweimal am Tag spielte sein Vater mit voller Energie Basketball auf dem Platz des Hotels, ging mit Schwung zum Angriff und dann schnell laufend in die Verteidigung über – und abends tanzte er mit Mutter im Club, Hands up, baby, hands up , bis zum Morgen; er sah gar nicht aus wie einer, der ein Herzproblem hat – das war die Erklärung gewesen, die Mutter ihnen für das plötzliche Absagen der Sinaifahrt gegeben hatte. Als sie am letzten Tag zum Unterwasseraussichtspunkt gingen, nutzte Dori die Gelegenheit, als Vater und Ze’ela oben in der Kantine eine Cola trinken gingen und er mit seiner Mutter vor den großen Glasfenstern allein war, und fragte sie, ganz im Ton ihrer vertrauten Gespräche, Mama, was ist denn mit Papa? Was ist der echte Grund, warum wir nicht in den Sinai gefahren sind? Sie hatte einen langen Augenblick geschwiegen, und genau in dem Moment, als er dachte, sie werde ihm niemals antworten, gesagt: Das ist einfach unglaublich. Es gibt unter Wasser noch eine ganze Welt, mindestens genauso reich wie unsere, und wir haben keine Ahnung von ihr. Schau, sagte sie und zeigte auf ein Pärchen von langen, dünnen Flötenfischen, das auf sie zukam. Sie folgten ihnen mit ihren Blicken, bis sie hinter einer gelben Koralle verschwanden, und dann streichelte seine Mutter ihm über den Kopf und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ: Komm, wir gehen auch hoch in die Kantine.
*
Unglaublich. Dori spricht dieses Wort nicht aus, doch das Gefühl von Unglaublich umspannt seine Stirn so fest, dass sich ihm die Wimpern aufstellen. Unglaublich, wie die Erinnerung – genauso wie der Nachrichtendienst vor dem Jom-Kippur-Krieg – Details ignoriert, die nicht ins Konzept passen. An Lital Aschkenasi kann er sich prima erinnern, jahrelang stand sie in seinen Fantasien an erster Stelle. Aber was auf dem Weg in den Sinai passiert war –
Und siehe da, noch so ein Moment – wo hatte der sich denn versteckt? –, das war in den achtziger Jahren, er war in der fünften oder sechsten Klasse. Alle Kinder hatten so einen Computer, der Atari hieß, und deshalb wollte auch er einen haben. Nach langen Verhandlungen und nachdem er am Sederabend den Afikoman gefunden hatte und ihm deshalb ein Preis zustand, kauften sie ihm einen. Er saß im Wohnzimmer und spielte 2-Balken-Tennis , Pac-Man und Combat . Auch sein Vater spielte auf dem Atari . Stundenlang. Aber nur Combat . Jede Nacht, wenn Mama ihn rief, er solle ins Bett kommen, sagte er, ich komme gleich, und kam nicht, und morgens hatte er müde Augen, einen Stoppelbart und war nervös. Und dann, einen Tag bevor alle seine Freunde aus der Klasse zu ihm kommen sollten, um mit dem Atari zu
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