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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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mal.
    Das zweite Foto war aus einem Bild herausgeschnitten, das sie in Ze’elas Hochzeitsalbum gefunden hatten. Auf dem Original sieht man Ze’ela mit aufwendig geflochtener Brautfrisur, daneben Aviram, ihren Exmann, und links und rechts von ihnen Vater und Mutter, die wie Monde strahlen. Mit einem Arm umarmen sie den, der ihnen am nächsten steht, und in der freien Hand halten sie ein Glas: Mutter orangefarbenen Punsch und Vater sein ewiges Sodawasser.
    Aus diesem Bild hatten sie den Kopf ihres Vaters herausgeschnitten, mit einem kleinen Stückchen Hals. Sein Haar, sein riesiger Haarschopf, damals noch mit einigen nicht weiß gewordenen Inseln, reicht über den Bildrand hinaus. Sein Adamsapfel ragt hervor, wie bei allen Männern in seiner Familie (hast du einen Löffel verschluckt, Dori, oder freust du dich nur, mich zu sehn, hatte Roni ihn einmal gefragt, als er in Rachels Cafeteria auf sie zukam).
    Das dritte Bild ist zu alt, als dass es wirklich etwas nützen könnte, aber er hat es trotzdem mitgenommen. Das einzige Bild aus all den Alben, auf dem er allein mit seinem Vater zu sehen ist. Ze’ela war vermutlich schon beim Militär, und seine Mutter hatte, wie immer, fotografiert. Sie stehen auf Skiern auf dem Hermonberg, mit Wollmützen, die seines Vaters ist schwarz, seine weiß. Sie sind beinah gleich groß, vielleicht ist er sogar schon ein bisschen größer als sein Vater, obwohl er das sicherlich nicht empfand, denn mit fünfzehn war ihm seine Größe noch neu.
    Wie kalt es dort oben war, kann man an ihren Anoraks sehen, deren Reißverschlüsse ganz zugezogen sind. Und obwohl es so kalt war, umarmten sie sich nicht; sie standen nur nebeneinander. Sie haben sich nie wirklich umarmt. Nie ganz. Noch nicht einmal, als Dori aus dem Libanonkrieg zurückkam, und auch nicht auf Mutters Beerdigung. Ihre Umarmungen waren immer etwas reserviert – sein Vater klopfte ihm mit einer Hand leicht auf die Schulter, und mit der andern stieß er ihn bereits weg. Wenn ich ihn diesmal treffe, schwört sich Dori jetzt, falle ich ihm um den Hals, ziehe ihn an mich, und er wird keine andere Wahl haben, als meine Umarmung zu erwidern.
    Im Koffer liegen, gut aufbewahrt, noch Dutzende Fotos von seinem Vater. Alfredo, ihr Kontaktmann in Quito, hatte skeptisch gesagt, er glaube nicht an Fotos, nur an Informationen, aber er könne ja ein paar mitbringen , just in case . Deshalb hatte er am letzten Schabbat zusammen mit Ze’ela die Fotoalben aus den Regalen genommen und aus den Haftfolien mit den Bildern auch die Erinnerungen herausgelöst. Da war der Ausflug in den Nachal Jehudija, wo Mutter sich den Knöchel verstauchte und Vater sie bis zum Auto auf Händen trug. Da war der Besuch im Lunapark, bei dem er erstmals entdeckte, dass sein Vater nicht so stark und allmächtig war, wie Dori gedacht hatte, denn er wurde seekrank, als er Achterbahn fuhr. Da war das Haus in Mevasseret Zion, das Vater zehn Jahre lang gebaut hatte und in dem sie letztlich nie wohnten, weil Mutter nicht wollte. Schau mal, hatte Ze’ela gesagt und auf seinen Vater gezeigt, wie er mit Bauhelm auf dem Kopf neben dem Gerüst stand, hier ist er so alt wie du jetzt. Siehst du, wie ähnlich ihr euch seht? Quatsch, protestierte er, er sieht keinem von uns ähnlich. Vielleicht Aviram ein bisschen. Du bist gemein, zischte sie ihn an, obwohl sie wusste, er hatte Recht. Die äußerliche Ähnlichkeit von Aviram und ihrem Vater war so auffällig, dass Dori sich zusammenreißen musste, nicht loszulachen, als sie ihren neuen Freund das erste Mal zum Abendessen nach Hause mitbrachte.
    Ze’ela legte das Bar Mizwa -Album zurück auf den Stapel. Entschuldige, murmelte er sofort, ich wollte dir nicht Salz auf Aviram streuen. Und sie sagte, das ist nicht wegen ihm … ich mach mir einfach … Sorgen um Papa.
    Denk dran, Ze’ela, das ist unser Vater, sagte Dori. Er hat die schlimmste Schlacht im Jom-Kippur-Krieg überlebt. Was ist da Südamerika für ihn?
    Genau deshalb mach ich mir ja Sorgen, das passt alles einfach nicht zu ihm.
    Er greift in seine Gesäßtasche, um sein Telefon herauszuholen und seiner Schwester eine kurze optimistische Nachricht zu schreiben –
    Die Tasche ist leer. Nicht schlimm, beruhigt er sich, beim Umsteigen in Barcelona finde ich schon einen Internetzugang, und dann schreib ich ihr: Komm, wir schließen einen Pakt. Er versucht, diese E-Mail im Kopf zu formulieren. Ich finde Papa, und Du findest eine neue Liebe. Warum? Weil Du’s verdient hast. Stimmt,

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