Neulandexpedition (German Edition)
musste es ja tun, und manches erledigte man lieber sofort. So breitete ich die Arme aus und wies auf den umliegenden Wald.
„Such dir einen hübschen Baum aus und markier dein Revier. Die Buche da hinten vielleicht?“ Zu meiner Verteidigung musste ich sagen, dass ich zumindest versuchte, mein Grinsen zu unterdrücken. Er torpedierte diesen Versuch, indem er eine Grimasse zog, die einfach zu komisch aussah. Um meine Mundwinkel zuckte es. Was ihm natürlich nicht entging. Aber seine einzige weitere Reaktion darauf war die Präsentation seines Mittelfingers, bevor er von dannen stapfte. Natürlich hätte ich ihn auch zu dem Gartenhäuschen etwas weiter unten auf dem Gelände verweisen können, aber es war schließlich dringend und ich wollte ja nicht, dass noch ein Unglück geschah.
„Können wir dann?“, rief Rony ungeduldig, rückte sein grünes Basecap auf dem blonden Bürstenhaarschnitt zurecht und blickte in die Runde.
„Geht schon mal vor. Ich warte auf Jo, damit er sich nicht verläuft“, erwiderte ich und lehnte mich an den Wagen. Die Anderen kamen meiner Aufforderung auch ohne Zögern nach, bis auf Meike. Einen kleinen Moment befürchtete ich, sie würde ebenfalls auf Jo warten wollen. Doch dann entschied sie offenbar, dass dies wohl zu auffällig wäre. Wem wollte sie hier eigentlich noch was vormachen? Sogar Rony hatte mittlerweile gecheckt, dass sie scharf auf Johan war. Alle wussten es, nur bei Jo selbst war ich mir nicht sicher. Wahrscheinlich würde ich auch dies in den nächsten Tagen herausfinden.
Wegen Jos kleinem Abstecher ins Gebüsch kamen wie also etwas später als der Rest der Truppe an unserem angestammten Platz direkt am See an.
Dorthin führte uns ein geschwungener Plattenweg, vorbei an akkurat gestutzten Rosenbüschen und dem Wildwuchs frönenden Beerensträuchern. Mit jedem Schritt ließen wir Fort Knox, wie Rony das Haus seiner Großeltern liebevoll nannte, hinter uns. Dabei war dies nicht immer Sperrzone für uns gewesen. Erst seit zirka drei Jahren war der Zutritt verboten. Davor hatten wir das Bad, sowie die Küche benutzen dürfen und auch, dass wir uns ab und zu einen Film im Wohnzimmer ansahen, wurde huldvoll geduldet. Bis zu jenem verhängnisvollem Tag an dem das Unglück geschah.
Das Wetter war mies gewesen und uns langweilig, zudem hatten sich Alwin und Elias wegen irgendetwas gestritten. Die Stimmung wollten wir daher mit einem jener Filmnachmittage retten, denn eins musste man Herrn Bachmeier lassen, seine DVD-Sammlung und der riesige Flachbildschirm waren erste Sahne. Zunächst klappte es auch, der Film war gut, die Streithähne begruben das Kriegsbeil in einer großen Popcornschüssel und sogar das Wetter schien sich zu bessern. Doch dann stand Rony auf und nahm Kurs Richtung Flur. Wohin er wollte? Keine Ahnung. Vielleicht aufs Pöttchen oder den Kühlschrank plündern. Wahrscheinlich beides in dieser Reihenfolge. Nur kam er nicht soweit, denn er stolperte über einen orientalischen Teppichläufer, der im Durchgang lag. Wie eine Windmühle wedelten seine Arme durch die Luft, suchten Halt und dabei ergriff er blöderweise Oma's japanische Vase. Enkel und Blumengefäß gingen zu Boden.
Rony erlitt dabei einen akuten Egoknacks und einen blauen Fleck in der Größe einer Orange an einer recht pikanten Stelle, doch die Vase überlebte nicht. Sie zersprang in hundert Teile, was, wie wir später erfuhren, auch ihr Alter gewesen war. Unsere Idee, zusammenzulegen, um sie zu ersetzen, verpuffte schlagartig, denn wir hätten wahrscheinlich eben so viele Jahre sparen müssen.
Seitdem waren wir aus den heiligen Hallen verband. Nur im allergrößten Notfall, sprich einem Tornado, Erdbeben oder der Sintflut, war es uns gestattet, den Ersatzschlüssel zu benutzen. Johans Notdurft gehörte nicht in diese Kategorie. Da konnte der noch so schmollen, was er zum Glück nicht allzu lange tat.
Bereits auf der Hälfte der Strecke, wir passierten gerade die zwei knöchrigen Apfelbäume, die wie zwei Wächter den Weg flankierten, verzogen sich die Gewitterwolken auf seinem Gesicht und er blickte neugierig hinunter zum See.
Das Ufer war an vielen Stellen von Schilf gesäumt, doch hier, an diesem lauschigen Plätzchen kam man ungehindert ins kühle, und um diese Jahreszeit noch eiskalte, Nass. Gerade deshalb hatten wir uns schon vor Jahren genau diesen Fleck ausgesucht. Zudem gab es ganz in der Nähe einen kleinen Steg, von dem man herrlich den Sonnenuntergang bestaunen, oder die eine
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