Neumond: Kriminalroman (German Edition)
ungefähr eine Stunde später sein Handy schrillte, war er kurz orientierungslos und brauchte einige Augenblicke, um zu realisieren, wo er sich gerade befand.
»Ich bin es, Oliver. Ich habe alles in die Wege geleitet, und jetzt bin ich gerade dabei, Bertonis Wohnung zu durchsuchen. Mann, der hat vielleicht eine große Wohnung und voll elegant eingerichtet.«
Morell hielt das Telefon ein paar Zentimeter von seinem Ohr weg, damit Olivers Stimme nicht ganz so grell war. »Mach es kurz. Hast du schon etwas gefunden?« Er fühlte sich benommen und hatte einen trockenen Mund und einen pelzigen Gaumen.
»Ja, Bertoni hatte ganz viele Fotos, die er offenbar heimlich von Schwester Sabine gemacht hat, und dann habe ich auch noch den Ring gefunden und die fehlenden Knochen von Jutta Zöbich.«
»Du hast was?!«
»Ich habe ganz viele Fotos von Schwester Sabine gefunden. Die hatte er neben seinem Bett in seinem Nachttischkästchen liegen. Die sehen so aus, als hätte er …«
»Nein, das andere. Der Ring.«
»Ich habe ein kleines Plastiksackerl gefunden. Darin waren ein paar Knöchelchen und ein Rubinring mit einer Gravur. Soll wohl
›Für immer M
.‹ oder so heißen. Genau so einer wurde Frau Capelli im Wald geklaut. Ich mache jetzt erstmal weiter und melde mich gleich wieder, wenn …«
»Danke, Oliver.« Morell legte auf und schloss die Augen. Damit, dass Bertoni auch etwas mit dem Mordfall Zöbich zu tun hatte, hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Leider lag Bertoni zerschmettert am Fuße der Schlucht und konnte keine Auskunft mehr geben. »Das macht doch keinen Sinn«, murmelte er, während seine Gedanken im Kreis liefen. Er griff sich an den Kopf, der wieder mit seinem dumpfen Pochen begonnen hatte. Schließlich lehnte er sich zurück und ließ seinen Kopf auf das Kissen sinken. Irgendetwas passte hier nicht, ganz und gar nicht. Was hatte er bloß übersehen? Hoffentlich würde sich diese Ungereimtheit aufklären, wenn Oliver sich mit neuen Informationen meldete.
Er schreckte auf, als die Tür aufgerissen wurde, und Schwester Helen hereingestürmt kam. Sie hatte offensichtlich geweint, denn ihre Augen waren geschwollen, und auf ihren Wangen war verschmiertes Mascara. »Ich will die Wahrheit wissen. Ich will wissen, was hier gespielt wird.« Sie giftete ihn so böse an, dass er sich am liebsten flach auf den Boden geworfen und sich unter der Liege versteckt hätte. »Stimmt es, dass Sie dem Herrn Doktor den Tod von Schwester Sabine anhängen wollen?!«
Morell setzte sich auf und rieb sich den Schlafsand aus den Augen. »Jetzt hören Sie mal«, platzte ihm der Kragen. »Ich hänge niemandem etwas an. Er hat gestanden.«
Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie lügen! Ich würde meine Hand für ihn ins Feuer legen.«
»Dann hoffe ich, dass Sie eine gute Brandsalbe haben.«
»Nur damit Sie es wissen. Er kann es nicht gewesen sein. Er war die ganze Nacht mit mir zusammen.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn triumphierend an.
Sein angeschlagener Kopf brauchte ein paar Augenblicke, um diese Information zu verarbeiten. »Netter Versuch. Sie wissen hoffentlich, dass eine Falschaussage strafbar ist. Trotzdem danke«, sagte er, denn mit einem Mal war ihm eingefallen, was ihn zuvor so beschäftigt hatte.
Er stand auf, nieste, verließ mit schmerzenden Knochen den Raum und ließ Schwester Helen einfach stehen.
62
»Was haben Sie mit der Sache zu tun? Das würde mich jetzt ganz ehrlich interessieren.« Morell nahm sich in Adelheid Hanauers Zimmer einen Stuhl und setzte sich an den Tisch.
Frau Hanauer rollte etwas näher an ihn heran und zupfte an der Decke über ihrem Schoß herum. »Möchten Sie Mineralwasser? Etwas anderes habe ich leider nicht.« Sie zeigte auf den Tisch.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was haben Sie mit den Morden an Schwester Sabine und Jutta Zöbich zu tun?« Er griff sich an die Wange – die Schramme unter dem Pflaster hatte begonnen, unangenehm zu jucken.
»Ich? Natürlich nichts.«
»Ach nein? Warum haben Sie Dr. Bertoni dann ein falsches Alibi für die Mordnacht gegeben?«
»Das muss ein Missverständnis sein.« Sie drehte den Kopf und starrte abwesend nach draußen. »Ich bin alt, wissen Sie. Da bringt man schon hie und da mal was durcheinander.«
»O nein, nicht Sie. Sie sind völlig klar im Hirn. Sie würden so etwas Wichtiges auf keinen Fall durcheinanderbringen.«
Sie sagte nichts, sondern schaute ihn nur an, und ganz kurz, nur für
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