Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Sprechen schwer.
»Die ersten Tage danach habe ich mich fast zu Tode gefürchtet. Ich hatte es ja nicht geplant. Überall waren meine Fingerabdrücke und andere Spuren. Und natürlich der Ring. Jeden Tag habe ich darauf gewartet, dass die Polizei kommt und mich verhaftet, aber sie kam nicht.« Sie kicherte. »Alle dachten, dass das übermütige Ding einfach abgehauen sei. Kein Wunder bei ihrem Ruf und ihrem Lebenswandel.«
»Und Schwester Sabine? Die hat Ihnen doch nie etwas getan.«
»Vielleicht nicht direkt, aber all den armen Männern und deren Ehefrauen und Kindern. Ich kenne diese Sorte Frau. Keine Werte. Keine Moral. Solche wie die sollte man wegsperren.«
»Was haben Sie bloß gemacht?« Seine Worte waren schwer und schmeckten nach Eisen.
Sie lachte laut auf. »Gar nicht viel. Ich wollte eigentlich nur, dass sie einen Denkzettel kriegt und endlich aus meiner Nähe verschwindet, darum habe ich mir Bertoni vorgenommen. Dem armen Kerl hatte sie ja ganz schön zugesetzt. Ich habe ihm also gesagt, dass er sich das nicht gefallen lassen soll. Dass er es nicht nötig hat, sich von so einer zum Gespött machen zu lassen. Dass er seine Würde retten und seine Ehre wieder herstellen muss. Eigentlich wollte ich ja nur, dass er sie feuert – wer hat denn damit rechnen können, dass er so weit gehen würde.« Sie zuckte mit den Schultern und schaute auf Morell hinunter.
Dessen Herz raste immer schneller, und ihm wurde ganz schummrig. Nicht mehr lange und er würde das Bewusstsein verlieren. Er griff in seine Jackentasche.
»Suchen Sie vielleicht das?« Hanauer hielt ihm sein Handy vor die Nase. »Ist Ihnen beim Sturz leider aus der Jacke gerutscht.« Sie steckte es unter ihre Decke.
»Und dann? Warum das Alibi?«
»Nach der Tat ist er zu mir gekommen. Geweint hat er, gezittert und geschwitzt. Stellen wollte er sich, dieser Feigling. Also habe ich die Sache in die Hand nehmen müssen und den Plan mit dem Abschiedsbrief, der Schlucht und dem Alibi entwickelt. Das arme Dummerchen. Erst musste ich ihn vor dem Flittchen beschützen und dann vor sich selbst. Männer halt. Sind nichts ohne eine starke Frau an ihrer Seite. Mein Manfred war da genauso. Vielleicht habe ich Bertoni deshalb unter meine Fittiche genommen, weil er mich so an meinen Manfred erinnert hat.« Sie lächelte.
Morell konnte mittlerweile nicht mehr klar sehen. Hanauers Gesicht war zu einer breiigen, hautfarbenen Masse verschwommen, aus der ihn zwei schwarze Punkte anstarrten. »Und der Bunker?«
»Tja«, redete sie weiter. »Das war fast schon schicksalhaft.« Sie grinste. »Einen Tag, nachdem Bertoni die Weigl umgebracht hat, lese ich von dem Skelettfund im Bunker. Was für ein glorreicher Zufall. Alleine hätte ich gar nichts ausrichten können, aber jetzt hatte ich ja Bertoni. Den habe ich also hingeschickt, um klarzustellen, dass sich darin keine Hinweise mehr auf mich befinden. Er war mir ja einen Gefallen schuldig. Quid pro quo. Sie verstehen schon, eine Hand wäscht die andere. Er hat dann den Ring an sich genommen, und als das erledigt war, waren wir eigentlich auf der sicheren Seite. Aber dann kamen Sie. Sie waren unsere Achillesferse.« Sie beugte sich nach vorn und tätschelte seinen Kopf. »Aber auch mit Ihnen bin ich fertig geworden.«
»Und Frau Hölzel? Musste sie sterben, weil sie Sie durchschaut hatte?«
»Ach was«, winkte Hanauer ab. »Gerlinde war keine Gefahr. Sie ist ganz natürlich gestorben.«
»Schlitten? Schwein?« Es war ihm mittlerweile zu anstrengend, in ganzen Sätzen zu sprechen.
»Das waren meine Ideen. Bertoni sollte den Verdacht auf diesen proletenhaften Metzger lenken und Ihnen Angst einjagen. Es hat ja niemand damit rechnen können, dass Sie so ein sturer Bursche sind.« Sie setzte sich wieder gerade hin und fuhr ein paar Meter nach hinten. »Bertoni ist ein schlauer Kerl. Ihm wird schon etwas einfallen, um unterzutauchen. Ich werde zur Sicherheit aber noch bei Ihren Kollegen anrufen und ein paar falsche Fährten legen.« Sie nahm eine Schere aus der Nachttischlade und schnitt das Kabel des Notfallalarms durch. »Sicher ist sicher«, sagte sie und rollte zur Tür. »Bitte glauben Sie mir, wenn ich sage, dass es mir leid um Sie tut. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn Sie St. Gröben lebend verlassen hätten. Und das, obwohl Sie so ein schrecklich schlechter Bridgespieler sind.«
Sie verließ den Raum, schloss die Tür hinter sich und ließ den sterbenden Morell einfach zurück.
63
Frau Hanauer fuhr
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