Neumondkuss: Ein Vampirroman (German Edition)
einzuweihen. Sie war heilfroh, dass alles vorbei und gut ausgegangen war – abgesehen von den äußerst komplizierten Knochenbrüchen natürlich. Aber auch die würden schon sehr bald nur noch Erinnerung sein.
Jolin hob ihren Blick und sah an der Freundin vorbei zur Tür.
»Was ist?«
»Ich glaube …« … ich habe etwas gehört, vollendete Jolin den Satz in Gedanken. Ihr war klar, dass Anna sie für einigermaßen durchgeknallt erklären würde, wenn sie behauptete, dass sie Roubens Schritte vernommen hätte, obwohl das Bett gut zwei Meter von der Tür entfernt und diese fest geschlossen war. Doch als es im nächsten Moment leise klopfte, wusste Jolin, dass sie sich nicht getäuscht hatte. »Ja?« Sie bemühte sich um einen lauten, festen Klang, doch die Stimme brach ihr weg, noch ehe sie dieses läppisch kurze Wort ausgesprochen hatte.
Anna grinste, und im nächsten Moment stand Rouben bereits im Zimmer.
Er trug eine ausgewaschene Jeans, ein rauchblaues T-Shirt und einen karamellfarbenen Sweater, dessen Reißverschluss er bis knapp unters Brustbein heraufgezogen hatte. Das Karamell der Jacke wiederholte sich in der Iris seiner Augen, in deren Mitte es in einen leuchtend warmen Bernsteinton überging, was einen ungewöhnlichen Kontrast zum tiefen Schwarz der Pupillen ergab. Die dunklen Brauen lagen schwungvoll darüber, die glänzenden schwarzen Haare, vor wenigen Wochen noch halb lang, hatte Rouben sich inzwischen kurz schneiden lassen, ein paar der lässig verstrubbelten Ponyfransen fielen nun locker über seine hohe glatte Stirn. Die Augen und die vollen, makellos geschwungenen Lippen waren das Beste an ihm, die etwas unregelmäßig gewachsene Nase jedoch verlieh seinem Gesicht erst etwas menschlich Vertrautes und machte es dadurch auf nahezu beängstigende Weise perfekt.
Jolin bemerkte, dass ihrer Freundin der Atem wegblieb, und grinste ebenfalls.
»Hallo, Anna«, sagte Rouben.
Seine Stimme klang dunkel und weich, sein Blick war offen und klar, und um seine Mundwinkel zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab.
»Hi!« Anna schnellte hoch und griff nach ihrer Tasche, die sie neben dem Bett auf den Boden gelegt hatte. »Ähm … Ich bin schon weg.«
»Kein Problem«, sagte Rouben, während er so lautlos und geschmeidig wie eine Katze an ihr vorbeiglitt und sich zu Jolin auf die Bettkante setzte. »Du kannst gerne noch bleiben.«
»Äh … Nee, nee, besser nicht«, erwiderte Anna hastig. »Ich bin sowieso schon viel zu lange hier, eigentlich müsste ich längst an meinem Geschichtsreferat sitzen und …« Sie sah ihre Freundin, die noch immer mit senkrecht nach oben abgewinkelten Armen auf dem Bett lag, unschlüssig an und zuckte schließlich mit den Schultern. »… Na ja …«
»Schön, dass du da warst«, formte Jolin tonlos mit den Lippen.
Anna nickte. »Ich melde mich«, sagte sie, schulterte ihre Tasche und machte eine flüchtige Geste mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger in Richtung Mund und Ohr. Dann tappte sie eilig aus dem Zimmer.
Rouben blickte ihr belustigt nach. »Manchmal habe ich fast das Gefühl, sie mag mich nicht«, murmelte er.
Jolin lachte. »Blödmann!«
Rouben rutschte zur ihr rüber und stützte seine Arme rechts und links von ihr ab. »Wer? Ich?«, fragte er dunkel.
Jolin sah ihn an, und ihr Puls schnellte blitzartig nach oben. »Du weißt doch ganz genau, dass Anna dich auch genommen hätte.«
»So?« Lächelnd näherte er sich ihrem Gesicht, berührte mit seiner Nasenspitze die ihre, ließ seinen Mund sanft über ihre Wange streifen und öffnete schließlich ihre Lippen.
Jolins Herz klopfte wild, und das Blut pulsierte ihr heiß den Nacken hinauf. Noch immer glaubte sie den Verstand zu verlieren, wenn Rouben so nah bei ihr war, wenn sie den warmen Duft seiner Haut atmete und ihre Lippen und Zungen einander zärtlich umspielten. Es war nach wie vor schwer zu begreifen, dass all das kein Traum, sondern nun schon seit acht Wochen greifbare Wirklichkeit war. Der Umstand, dass Jolin sich mit ihren Gipsarmen kaum rühren konnte und sich Rouben in jeder Hinsicht ausgeliefert fühlte, war allerdings nicht weniger real. Er hätte mit ihr machen können, was er wollte. Das Problem war nur: Er wollte – ganz offensichtlich! – nicht.
»Hör mal … Rouben?«
»Mhm?« Noch einmal küsste er sie sanft, dann löste er sich und sah sie fragend an. »Was ist? Möchtest du immer noch über Anna reden?«
»Ähm, nein.«
»Sondern?«
»Über uns.«
Unwillig
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