Neun Tage Koenigin
sie war noch nicht fertig. „Dein Vater ist seit siebenundzwanzig Jahren an der Klinik, und er kennt dort sehr viele Leute.“ Die letzten drei Worte betonte sie mit einem herausfordernden Blick in meine Richtung.
„Das weiß ich, Mama. Aber darum geht es doch gar nicht. Es ist nur so, dass Brad sich genau so einen Job immer gewünscht hat. Er arbeitet dort mit Krebspatienten, und genau das möchte er.“
„Aber der Job ist in New Hampshire!“
„Na ja, Connor ist ja auch in New Hampshire!“ Sogar in meinen Ohren klang es erbärmlich, den Studienort unseres Sohnes als Begründung für die Tatsache anzuführen, dass mein Mann und ich derzeit in gewisser Weise getrennt lebten. Connor hatte mit all dem nun wirklich nichts zu tun. Und außerdem wohnte er über eine Autostunde von Brad entfernt.
„Und du bist hier“, sagte meine Mutter betont gleichmütig. „Wenn Brad unbedingt aus der Stadt rauswollte, dann hätte es sicher jede Menge ruhigere Kliniken in unmittelbarer Nähe gegeben. Und auch jede Menge kranker Leute.“
Da war ein Unterton in ihrer Stimme, unterschwellig, aber trotzdem unüberhörbar, der mir deutlich signalisierte, dass es hier keineswegs um kranke Menschen und Krankenhäuser und die Entfernung zwischen Manhattan und Manchester ging. Es war, als ahnte sie, was ich ihr und meinem Vater in den vergangenen Wochen zu verschweigen versucht hatte.
Mein Mann wollte nicht aus der Stadt weg, sondern einfach nur weg.
Zwei
In den ersten paar Wochen nach Brads Auszug wachte ich manchmal mitten in der Nacht auf und dachte nicht mehr daran, dass ich ja jetzt allein in dem Doppelbett lag. Instinktiv rutschte ich dann weiter auf Brads Seite, und mir wurde jedes Mal seltsam schwindelig, wenn ich merkte, dass er ja gar nicht da war. Dann klammerte ich mich am Bettlaken fest, so, als wolle ich nicht fallen.
In den ersten Wochen passierte das jede Nacht, und ich lag danach immer stundenlang wach und konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzugrübeln, warum Brad unbedingt Abstand von mir wollte und warum mich sein Wunsch und dessen praktische Umsetzung so eiskalt erwischt hatten. Nach etwa drei Wochen wachte ich dann nachts nicht mehr mit diesem Schwindelgefühl auf, sondern ich wachte einfach nur auf – manchmal um zwei Uhr morgens, manchmal auch erst um drei – und konnte dann bis zum Tagesanbruch nicht wieder einschlafen.
Ich hatte wirklich nicht gewusst, dass Brad in unserer Ehe keine Luft bekam. Das war der Teil an der ganzen Sache, der mir so unheimlich vorkam, wenn sich Nacht für Nacht der Schlaf davonmachte. Brad hatte das Gefühl gehabt, ersticken zu müssen, und ich hatte es nicht bemerkt. Manchmal hielten mich Zweifel wach, manchmal war es Trauer, manchmal Wut – und manchmal war es auch eine Mischung aus allen dreien.
An dem Morgen, als Brad mir sagte, dass er gehen würde, saßen wir an unserem Küchentisch. Die Teile der Sonntagszeitung lagen verstreut zwischen unseren Kaffeetassen, und der Duft des Omeletts, das ich uns gemacht hatte, hing noch in der Luft. Zwiebel, Paprika und Frühstücksspeck. Es war Mitte Februar, aber die Sonne hatte an jenem Morgen schon ein wenig Kraft, und ihre Strahlen ergossen sich vom Balkonfenster aus über unsere Schultern, als wollten sie hereingebeten werden. Brad sagte meinen Namen. Ich blickte auf und dachte, dass er vielleicht noch Kaffee wollte, doch er sah nicht mich an, sondern schaute zur Wohnungstür.
„Es gibt ein Stellenangebot für einen Radiologen in einer Klinik in New Hampshire“, sagte er.
Ein paar Sekunden verstrichen, bevor mir klar wurde, dass es hier um etwas ging, das ihm wichtig war. „New Hampshire?“
Er schaute auf seine Kaffeetasse und strich mit dem Daumen über den Henkel.
„Ja, in Manchester. Es ist eine Stelle in der Diagnostik, wo ich mit den Onkologen zusammenarbeiten würde, und ein Teil des Jobs ist auch Forschungsarbeit. Man hat mir diese Stelle angeboten.“
Er hob ganz langsam den Kopf, und unsere Blicke begegneten sich.
„Und du hast sie angenommen?“ Gedankenfetzen wirbelten durch meinen Kopf. Ich wusste gar nicht so recht, welche Frage ich ihm eigentlich stellen wollte. Warum erzählst du mir das? , schien da für den Anfang ganz angebracht, aber er redete weiter, bevor ich mich für die passende Frage entscheiden konnte.
„Nun, sie sind auf mich zugekommen, nachdem sie meine Artikel im ,Journal‘ gelesen hatten. Sie hätten mich gern in ihrem Team.“
Vielleicht hätte ich etwas Bestätigendes
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